Fünf Kontinente in einem Park

Der Jardin Majorelle ist einer der schönsten Gärten der Welt. Früher wohnte hier Yves Saint Laurent. Es ist ein unwirklicher Ort.

Die Rue Yves Saint Laurent in Marrakeschs Stadtteil Guéliz ist schmal und hektisch. Vor der ockerfarbigen Mauer des Jardin Majorelle spucken Taxis, Pferdekutschen und Busse Touristen aus. Man reiht sich ein vor der kleinen Eingangspforte – und betritt eine andere Welt. Eine, die dominiert ist von einem ungewöhnlichen Blau: tief und leuchtend, die Augen schmerzend.

Ein roter Pfad führt hinein in alle Tonarten von Grün. Dahinter blinken blaue Fassaden, verziert mit feinen gelblichen Eisengittern. Bougainvilleen bilden  rote Blütenkaskaden. Kakteen-Formationen, schlank aufstrebend oder wie Riesenkürbisse am Boden liegend,  gespreizten Blätterfächer,  fleischige Gewächse, sie lassen an lebendige Skulpturen denken. Bananenstauden, Bambus, Seerosen. In der Mitte das „Blaue Haus“, ein eigenwilliger Pavillon, umgeben von schlanken Palmen.

Geschaffen hat dieses Kunstwerk der französische Maler Jacques Majorelle. Fasziniert vom Orient, kaufte er 1923 vor den Mauern Marrakeschs ein Stück Land und bat den Architekten Paul Sinoir, ihm hier ein Atelier und Wohnhaus zu bauen. Dieses strich er in einem Blau, das später als „Bleu Majorelle“ patentiert wurde. Darum herum gestaltete er den Garten; der Garten war sein Lebenstraum. die Pflanzen schaffte er aus der ganzen Welt herbei. Fünf Kontinente in einem Park.

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Die Pflanzen im Jardin Majorelle schaffte der Namensgeber aus der ganzen Welt herbei. Fünf Kontinente in einem Park.

Nach Majorelles Tod 1962 drohte das Anwesen zu zerfallen. Doch bald wurden der französische Modeschöpfer Yves Saint Laurent und sein Partner Pierre Bergé auf den exotischen Flecken aufmerksam. Als dieser 1980 einem Hotelprojekt zum Opfer fallen sollte, kauften sie ihn. Im großen Ganzen ließen sie den Garten so, wie ihn Majorelle geschaffen hatte. Nach dem Tod des Modeschöpfers 2008 – seine Asche ist im privaten Rosengarten verstreut – führte Pierre Bergé den Jardin Majorelle in die Stiftung Pierre Bergé – Yves Saint Laurent über. Die beiden haben viel für den Garten getan. Sie haben ein Bewässerungssystem angelegt, das 40 Prozent Wasser spart. Statt Gras legten sie Schotter aus, um Wasser zu sparen. Sie haben die Zahl der Pflanzen verdoppelt. Es sind 300 Arten. Wie viele Pflanzen es insgesamt sind, kann man gar nicht zählen.

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Nach dem Tod des Modeschöpfers Yves Saint Laurent 2008 wurde seine Asche ist im privaten Rosengarten verstreut.

Heute ist der Garten Pflichtprogramm für Marrakesch-Besucher; fast 800 000 kommen jedes Jahr. Er ist 365 Tage im Jahr geöffnet und beschäftigt rund 85 Angestellte. Trotzdem: Der Majorelle bleibt ein geheimnisvoller Ort, der atmet und lebt.

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Die Rue Yves Saint Laurent in Marrakeschs Stadtteil Guéliz ist schmal und hektisch. Vor der ockerfarbigen Mauer des Jardin Majorelle spucken Taxis, Pferdekutschen und Busse Touristen aus. Man reiht sich ein vor der kleinen Eingangspforte – und betritt eine andere Welt.

Marrakesch – Ort der Sehnsucht

Marrakesch. Kurz nach der Dämmerung die ersten Schritte im Patio.  Der Ruf eines Muezzins. Die vergitterten Fenster des Zimmers zeichnen ein weiches Licht auf die Wände. Ein Bett, ein Sessel, eine Truhe, Wandschränke: All das sind Möbel, die bereits ein Leben vor diesem Zimmer hinter sich hatten. Das vermittelt eine Ahnung von Zeit und deren Verlauf. Jetzt wäre es gut, die große Flügeltür des Zimmers zum Innenof hin zu öffnen, besser aber  nicht bewegen, nur die hohe Decke betrachten.

Das Zimmer ist in einem Riad, wie die Häuser hier heißen. Dieser hier liegt am Anfang einer Sackgasse im roten Zentrum der Stadt. Es gibt draußen keine Wegweiser, keine Schilder am Eingang, nur ein grünes Banner, das die Richtung weist. Sein dunkles Tor wirkt, als sei es das Ende und der Beginn einer Welt. Von hier sind es nur ein paar Gehminuten zum Platz Djemaa el Fna.

Hier sein, mit Körper und Geist eins sein mit dem Augenblick, Einssein mit dem Jetzt. Das muss es sein.

Marrakesch ist ist die Trennung von Innen und Außen. Das Riad ist bestes Beispiel dafür. Seine Abgeschirmtheit, von der in jedem Reiseführer zu lesen ist, hat etwas mit der Hitze zu tun, die durch die dicken Mauern abgehalten und durch einen Brunnen im Patio gemildert wird. Hat auch  etwas mit Privatheit zu tun, Trennung des öffentlichen Lebens von dem der Familie. Die Frauen können hier ungezwungen sein. Auch deshalb sind die Fenster nach außen klein oder gar nicht vorhanden, nach innen hingegen groß, und wenn alle Türen geöffnet sind, gehen die Räume in das Patio über, verbindet sich der Innenhof mit der Üppigkeit der Zimmer, Innen und Außen werden ein Rhythmus, zum fließenden Übergang.

Muße. macht es möglich, dem Außen der Stadt nicht nur standzuhalten, sondern nach kurzer Eingewöhnung auch darin zu sein, unagestrengt. Draußen tobt das Leben: in den Souks.  30000  Händler und Handwerker sollen es sein, die hier feilbieten, schön sortiert: Lebensmittel, Gewürze, Obst und Gemüse, Leder, Keramik, Holz, Schuhe, Schneider, natürlich Teppiche und alles andere auch. Je tiefer man in die Gassen dringt, desto weniger Ramsch und Touristen gibt es.

Doch so eng es ist, so fließend sind die Bewegungen der Mopedfahrer, Einkäufer, Verkäufer, Lieferanten mit Eselskarren. Sowenig, wie die Abgeschiedenheit im Riad etwas mit vertaner Zeit zu tun hat, so wenig hat die Geschäftigkeit in den Souks etwas mit bloßer Hektik zu tun. Hat seine Ordnung, fügt sich nahtlos ineinander bis hin zu den Mopeds. Man kann sich in den Souks verlaufen, doch ohne  Folgen. Nur  nach „dem Platz“  fragen, und der kürzeste Weg wird gezeigt.

 Am späten Nachmittag auf dem Djemaa el Fna, dem größten Platz von Marrakesch, von ganz Marokko und vielleicht sogar der ganzen arabischen Welt, wie es bisweilen heißt: viele kleine Strudel, die sich berühren, ineinander übergehen, sich wieder entfernen. Ein kurzer Gedanke an den Terroranschlag im Jahr 2011 auf diesem Platz. Dennoch gilt Marokko als das sicherste Land Nordafrikas.  Berber, die auf ihren T’bols, Trommeln, mit dem Krummschlegel einen Rhythmus schlagen, der hypnotisiert, dazu die Farben der Gewänder oder der Kobras, die nebenan von den Flötenspielern hypnotisiert werden.

Sich herauszuhalten, nur zuzuschauen, unmöglich:  Alles sticht ins Auge, ob es die weißen Gewänder der Musikanten sind, die  bunten der Wasserverkäufer, die blauen der Tänzer. Die Orangenpyramiden sind der einzige Fixpunkt in diesem Sog der Sinne.

Geschichtenerzähler, Lotteriespiele, Boxkämpfe inmitten einer Menschenmenge. Zwischen allem bewegen sich Touristen und Marrakeschi wie verschlungene Arabesken. Djemaa el Fna, Platz der Geköpften, der Gehenkten, der Gaukler: Es ist, als verwebten sich in diesem Durcheinander Gegenwart und Vergangenheit, Fremdes und Wiedererkennen miteinander. Von den Dachterrassen aus ist jetzt in der Ferne  noch ein Streif samtblauer Himmel über den schneebedeckten Hügeln des Atlasgebirges zu sehen, dahinter liegt die Wüste, auch ein Sehnsuchtsort.

Am Horizont das schneebedeckte Atlasgebirge -- ein weiterer Sehnsuchtsort.
Am Horizont das schneebedeckte Atlasgebirge — ein weiterer Sehnsuchtsort.