Dinkelsbühl-Noto, 1993 Kilometer einfach, 19 Stunden, 40 Minuten: Über den San Bernardino, in Milano auf die A1, die zu allen Zeiten, bis heute bei Reisenden von nördlich der Alpen Sehnsucht erzeugende Autostrada del Sole. Roma ist die Mitte die Tour, für die Psyche ist es wichtig, am ersten Tag noch ein Stück weiter südlich zu kommen. Bis nach Frosinone zum Beispiel.
Frosinone, man glaubt es kaum, hat zwei Päpste hervorgebracht, spielte bereits in der Seria A, der höchsten italineischen Fußballliga, hat sich in der Geschichte durch Aufstände gegen das antike Rom seinen unauslöschlichen Platz gesichert. Mehrfach im Laufe der Jahrhunderte zerstört, zuletzt im Zweiten Weltkrieg. Das Stadtbild wird als modern beschrieben, also wenig morbider italienischer Charme, dafür viel bröckelnder Beton. Die lokale Macht hat derzeit ein Mitte-Rechts-Rat.
Unglübiges Staunen: Internationale Firmen sind hier ansässig. Die Stadt verfügt über eine Hubschrauber-, Textil-, Elektronik- und Lebensmittelindustrie. Eine Art Raffinerie sorgt nachts für eine industriell-anheimelnde Atmosphäre.
Ana hat in Frosine, gleich an der Zubringerstraße zur A1 eine Imbissbude und brät bis spät abends Salsicce, italienische Bratwürste. In einem Zelt hat sie Bierbänke aufgestellt, ein Fernseher läuft, natürlich. Rauchen, so steht auf einem Schild, ist hier verboten, mit dem Zusatz ein bisschen zumindest. Hier trifft sich der Querschnitt der Frosinoner, junge Pärchen, Bauarbeiter, ein Beamter und Carla, die als Stammgast auch entscheiden darf, dass von einer Art „Rach, der Amateurfußballverein-Tester“ auf Rosamunde Pilcher umgeschaltet wird. Immerhin: Anna fragt die Fremden, ob es ihnen recht wäre, das Programm zu ändern. Was aber sollen die als Zaungäste schon dagegen haben?

Warum es in Frosinone ein so großes Hotel wie das Hotel Ristorante „Cesare“ gibt, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Vielleicht wegen der internationalen Firmen hier? Es erschließt sich dem zufälligen Gast auch nicht, warum hier ein riesiges Restaurant vorgehalten wird, wenn doch niemand hier isst. Der blick auf die Autostrada del sole ist dafür umso schöner. Das Frühstück ist nicht wie bei Tiffany’s und wer Brot nicht mag, der ist in diesem Hotel richtig. Das Colazioni ist nämlich senza pane. Wurst, Käse und Marmelade gibt es dafür in reicher Auswahl, ein Kellner, den man um Brot bitten könnte, lässt sich aber lieber gar nicht mehr blicken, nachdem er einen Espresso gebracht hat.
Als Etappenziel ist Frosine nicht besser oder schlechter als Eboli zum Beispiel, südlich von Salerno, wo der Reisende nach 1339 Kilometern einen ersten kurzen Blick aufs tyrrenische Meer werfen kann. Danach muss er bis Lamezia Terme in Kalabrien warten, Sizilien bereits vor Augen. Ab Napoli bewegt er sich auf der A3. Waren die Zwischenetappen bis dahin Höhepunkte Italiens: Milano, Bologna, Firenze oder Rom, gleitet er bald hinter Salerno durch ein Nichts. Ein endloses Nichts. Unspektakulär, unbesiedelt, unendlich. Endlos. Parco Nazionale dell Pollino nennt sich diese Ödnis zuerst, danach Parco Nazionale della Sila. Kein Haus, kein Mensch, dafür Berge, auch im Hochsommer kalter Wind. Nichts, was das Auge des Reisenden ablenken, gar erfreuen würde. Trostlose Parkplätze mit überquellenden Mülleimern. Blicke in unbesiedelte Täler. Verzweiflung macht sich breit. Hoffnungslosigkeit, dass es gelingen könnte, diese ungezähmte Landschaft zu durchqueren.
Groß ist deshalb die Erleichterung, es nach vielen Stunden bis nach Lamezia Terme geschafft zu haben, die kalabrische Stadt, die vor Jahrzehnten einen Flughafen bekommen hat, um Touristen in die Gegend zu bringen. Ab Lamezia steigt die Vorfreude auf Sicilia, und die 121 Kilometer bis zur Fähre in Villa San Giovanni erscheinen wie ein Katzensprung.
Und dann: die Fahrt über den Stretto, Messina, die von Erdbeben geschundene Stadt, die den aufgeregtes Fährreisenden ihr schönes hässliches Gesicht zeigt, Sicilia, Sicila… Endlich!
