In Sizilien ändert sich nichts. Das mag an der Hitze liegen, 40 Grad und mehr im Sommer. Am heißen Wind, der von Afrika herüber bläst. Viele Wochen und Monate im Jahr ist das so. Das Leben wird auf das allernotwendigste reduziert: mangiare, spiaggia, giro al corso. Mehr geht einfach nicht in diesem Glutofen im Mittelmeer und die Arbeit, die zwischen all diesen Tätigkeiten verrichtet werden muss, dient den Menschen vielleicht auch einfach nur dazu, in klimatisierten Räumen der unbarmherzigen Sonne zu entkommen.
Vielleicht wird in diesen Büros auch geträumt. In der Hitze döst man ja leicht weg, die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum verwischen schnell unmerklich. In diesem Schwebezustand machen sich die Gedanken leicht selbstständig, „Bewusstheitsstrom“ nennen das die Literaturwissenschaftler, „stream of conciousness“. Vielleicht haben sich also in Büros Gedanken in den Köpfen dösender Menschen selbstständig gemacht, sind eigenmächtig zu Ideen geworden, haben sich ungefragt zu der Hoffnung aufgeschwungen, dass sich in Sizilien eben doch etwas ändern könnte.
Die Piazza Mazzini geriet vielleicht so in den Fokus der nach der Siesta erwachenden Stadtplaner. Der Platz in Piano Alto, dem obersten Stockwerk von Noto, sollte schöner werden. Sollte Beweis dafür werden, dass die einfachen Leute, die abseits der barocken Prachtbauten, die allesamt mit Unesco-Geld in neuen Glanz versetzt wurden, nicht vergessen sind. Für diese Menschen ist die von kleinen Orangenbäumchen gesäumte Piazza Mazzini seit jeher ein Treffpunkt, Kinder spielen hier bis spät in die Nacht, Junge trinken Bier und Alte sitzen einfach hier und warten und beobachten höchsten die wenigen Touristen, die sich im Sommer hier hoch verirren, um einen flüchtigen, leicht enttäuschten Blick zu werfen auf Gagliardis erste Barockkirche, die hier nach dem verheerenden Erdbeben gebaut wurde: Crocifisso. Die östliche Seite des Platzes wird eingerahmt von der casa di reclusione, dem Gefängnis. Manchmal hört man abends vom Platz aus die Häftlinge sprechen oder schreien oder sieht bei Licht ihre Schatten hinter den Fensterverblendungen aus blindem Kunststoff. Am südlichen Ende der Piazza Mazzini ist ein Tabacchi, in dem jeden Tag aufs Neue Menschen warten auf die Lottozahlen. Auf den großen Gewinn. Der aber auch niemals kommt.
So war das schon immer. Aber es sollte einfach besser werden. Anders, neu, aufregend. Weil neu ist immer besser, ist immer sexy, ist auf jeden Fall begehrenswerter als das Alte. Meint man auch in Sizilien. Sizilien will ja nicht abgehängt werden, Noto schon gar nicht. Noto hofft jedes Jahr auf den Boom: auf die Russen, auf die was weiß auch immer, auf jeden Fall auf Goldene Zeiten, die länger dauern als die Goldene Stunde bei Sonnenuntergang, die die barocken Sandsteinbauten ein paar Minuten lang in ein unwirkliches Licht taucht.
Also fuhren Bagger auf der Piazza Mazzini vor, rissen den Platz bis in sein Herz auf. Eine Bautafel ließ einen Eindruck davon entstehen, wie einst alles werden würde. Auf jeden Fall kreativer und schöner. Lebenswerter. Viele Steine wurden neu verlegt, das Innenleben des Platzes transplantiert. Über ein Jahr lang ging das so. Natürlich mit einer langen Pause im Sommer: Diese brutale Hitze, die das Leben auf das Allernotwendigste reduzierende unerträgliche Hitze.
Aber immerhin: Der Platz ist jetzt fertig – in Sizilien keine Selbstverständlichkeit. Die Bäumchen, zumindest einige davon, gibt es noch. Auch der kleine Spielplatz ist an der selben Stelle wieder aufgebaut. Weniger Bänke sind es vielleicht jetzt, aber die sind wieder besetzt von den jugendlichen Biertrinkern und den alten Männern. Der Platz ist wieder ganz der alte. Nichts hat sich hier verändert. Rein gar nichts. Neu ist wie alt. In Sizilien ändert sich nichts.