Aperol Spritz

Und wie isses?

Erzähl doch mal! Fordern mich meine Sozialkontakte in Deutschland regelmäßig auf, wenn ich mich bei ihnen melde. Und dann? Stehe wieder da und hab nix zu erzählen. Obwohl ich für mein Umfeld ja in „Urlaub“ bin. Dabei war ich in diesem Jahr schon allein davon gestresst, hierher zu „müssen“, mal nach dem Rechten zu sehen. Dieses Stressgefühl kehrt regelmäßig wieder, wenn ich an die Rückreise denke, wieder der Ekel, in ein Flugzeug steigen zu müssen. Fast schon die Stigmatisierung, dann nach der Landung in Deutschland als „Reiserückkehrer“ zu gelten. Als jemand, der es einfach nicht lassen konnte, auch in diesem schwierigen Jahr nicht. So jedenfalls interpretiere ich von Sizilien aus die Nachrichten, die ich aus Deutschland lese.

Anfang Juli, als ich ankam, gab‘s hier nur wenige Touristen. Das hat sich zwischenzeitlich geändert. Ist ja auch gut so. Sizilien braucht die Einnahmen aus dem Tourismus. In diesem Ausnahmejahr mehr denn je. Zusammen mit den tausenden Bewohnern der Region ballen sich jetzt die Massen: an den Stränden, in den einsamen malerischen Buchten, auf den Straßen dorthin, in den pittoresken Ferienorten. Juli und August waren ja schon immer schwierige Monate in Italien, wenn man, wie ich, nicht so auf das kollektive Erlebnis steht. In diesem Jahr, so dachte ich, wäre es vielleicht anders. Falsch gedacht. War da was? Manchmal hab ich das Gefühl, ich bin hier die einzige, die sich noch an so etwas wie eine Pandemie erinnert. Und die nimmt ja wieder Fahrt auf. Anfang Juli gab es in Sizilien an manchen Tagen noch null neue Infektionen. Jetzt sind es täglich über zehn, Tendenz steigend. Aber ist ja egal, wenn man im Urlaub ist.

Menschentrauben

Nur mal der Strand: Mindestabstand? Vielleicht in der prallen Mittagshitze möglich, wenn die Italiener sich zur Siesta zurückziehen. Es ist heiß, es hat sich ein afrikanisches Hoch aufgebaut, das heißt, Temperaturen an die 40 Grad. Da wird es auch am Strand schwierig mit der Abkühlung. Also muss die von innen kommen. Mit einer Granità. Die wird von so kleinen Lastern runter verkauft. Corrado und Perez heißen die Kälte-Dealer, die jetzt besten Zulauf haben. Richtige Trauben bilden sich an ihren mobilen Eisdielen. Corrado und Perez tragen natürlich keinen Mundschutz und die drängelnden Kunden auch nicht, ist ja auch viel zu heiß. Es wird viel und laut gelacht und gequatscht und dann wechselt die Granità den Besitzer. Weiß nicht…

Ein bisschen langweilig ist es am Strand ja auch. Lesen, wenn das Hirn so überhitzt ist, ist ja dann auch nicht so der Burner. Zum Glück kommen die „ambulanti“ vorbei, die fliegenden Händler. Die sorgen für Abwechslung. Die kommen einem richtig nah, wenn man nicht aufpasst und nur mal kurz blinzelt. Das sehen sie auch noch, wenn sie eigentlich schon fünf Meter an einem vorbei sind. Schmuck, Strandspielsachen und Sonnenbrillen oder bunte Tücher und weiße Baumwollkleider haben sie im Angebot. Alles ganz hübsch anzuschauen, die Produktionsbedingungen mal außer Acht gelassen. Mundschutz habe ich allerdings noch bei keinem „ambulanti“ im Angebot gesehen, auch selbst tragen sie keinen.

Nur nicht ertrinken

Um den Preis der Waren feilschen die Urlauber dann mit Menschen, bei denen man sich gar nicht vorstellen mag, in welch prekärer Situation am Rande der Legalität die leben und von denen die meisten vermutlich auf einem Schlauchboot das Mittelmeer überquert haben. Jetzt verkaufen sie unter anderem aufblasbare Plastikschiffchen an erholungswütige Touristen, die damit dann auf dem selben Meer herum paddeln und von den besorgten Salvataggi ermahnt werden, nur nicht zu weit hinauszufahren. Sie könnten ja sonst ertrinken. Und nach unzähligen Stunden, in denen die Händler in der brütenden Hitze auf glühendem Sand auf und ab marschiert sind, werden sie von modernen Sklaventreibern eingesammelt und in Kleinbussen in irgendwelche Unterkünfte gekarrt. Auch die hygienischen Verhältnisse dort will man sich gar nicht vorstellen…

Destruktive Grübeleien

Manchmal bin ich richtig neidisch auf Touristen, die solche Gedanken einfach abstellen können. Auch in einem Jahr wie diesem. Sie quasi mit den Büroklamotten zu Hause im Schrank lassen und im Urlaub dann unbeschwert von solchen destruktiven Grübeleien in ihre Leinenshorts und Flatterkleidchen schlüpfen, um es sich einmal, zweimal oder fünfmal im Jahr so richtig gut gehen zu lassen. Hat man sich ja auch verdient. Gerade in diesem Jahr. Mal richtig genießen, mal richtig loslassen, ja, auch mal die Sau rauslassen. Ein paar Wochen im Jahr, in denen es kein morgen gibt und die Happy Hour am Abend schon vormittags mit einem Aperol Spritz eingeläutet wird, an dessen Glas das Kondenswasser so malerisch herunterläuft und sich die Sonne in den Eiswürfeln bricht. Serviert von Menschen, die vermutlich selbst gar keinen Urlaubsanspruch haben. Und dann hinterher den daheim Gebliebenen so richtig was erzählen: von einsamen Buchten, traumhaften Hotels und ursprünglichen Gegenden.

Ich versteh das. Ja, ich bewundere das sogar. Nur mit anschauen kann ich das in der geballten Form während der Hochsaison nicht. Drum bin ich froh, wenn ich wieder an meinem Schreibtisch sitze und das ferienbedingt entschleunigte Leben in Deutschland genießen kann. Sind ja dann vermutlich gerade die meisten im Urlaub. Coronavirus hin oder her…

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