Es heißt, 98 Prozent der in Istanbul lebenden Menschen hören theoretisch auf den Ruf des Muezzin. Wie viele es praktisch sind, lässt sich schwer sagen. Auch in der Sultan-Ahmed-Moschee, auch als Blaue Moschee bekannt wegen ihrer unzähligen weiß-blauen Fliesen, können sich „Ungläubige“ kein eigenes Bild davon machen, wie viele Betende zu den offiziellen Gebetszeiten darin sind. Dann bleiben die Tore geschlossen.
Außerhalb dieser Zeiten dürfen Ungläubige den eindrucksvollen Raum betreten, hinter einem Zaun können sie zuhören, wie ein Imam unablässig spricht. Was er spricht, verstehen die Ungläubigen aus aller Welt natürlich nicht, aber eine kurze Einführung in den Islam gibt es am Eingang. In deutscher Sprache liegt die Broschüre nicht aus, obwohl unter den wenigen Touristen viele Deutsche sind. Und obwohl ein Grundverständnis des Islam für Deutsche generell hilfreich wäre.
AKP-Chef und Präsident Recep Tayyip Erdoğan plant bereits seit Längerem eine Änderung der Verfassung. Der Staatschef will aus der Parlaments- eine Präsidialdemokratie machen. Zwar hat seine Partei im Parlament die absolute Mehrheit, dennoch fehlt ihr die für eine Änderung der Verfassung erforderliche Mehrheit. Die Oppositionsparteien lehnen eine Verfassungsänderung ab. Weitere Befugnisse, so befürchten sie, würden dafür sorgen, dass der zunehmend autokratisch regierende Präsident immer weiter in eine autoritäre Herrschaft abgleiten würde.
1928 hatte die Türkei ihre ursprüngliche Verfassung geändert und den Islam als Staatsreligion gestrichen. Historiker betrachten diesen Schritt als Grundstein für die moderne, demokratische und säkulare Türkei. Die derzeitige Verfassung enthält keine Staatsreligion und beruft sich auch nicht auf Allah. Das derzeit geltende Prinzip des Laizismus sieht stattdessen eine strikte Trennung zwischen Religion und Staat sowie Religions- und Kultfreiheit vor. In der Praxis kontrolliert jedoch eine staatliche Behörde für Religiöse Angelegenheiten alle Aktivitäten, die mit dem Islam in Verbindung stehen.
Die meisten Türken sind sunnitische Muslime, dazu kommen etwa 20 Prozent Aleviten. Außerdem leben in der Türkei etwa 100 000 Christen und 17 000 Juden.
Ich war in Istanbul als die Proteste am Taksim-Platz gerade aufkeimten. Damals war Istanbul eine lebendige, wuselige Metropole, in der die tiefverschleirter Frau in Burka neben dem Mädchen im Supermini und Highheels in der Straßenbahn saß. Was Du da jetzt berichtest, hat mit dem Istanbul vor wenigen Jahren wenig zu tun. Die Türkei hat bis dahin geschafft Tradition und Moderne, Religion und Säkularität zu verbinden.
Das scheint verlorengegangen zu sein. Eigentlich war Istanbul auf meiner Liste der Städte, die ich in nächster Zeit wiederbesuchen wollte.
Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die Offenheit und Lebensfreude der Menschen vollkommen verloren sein soll.
Danke für den Bericht!
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Die Menschen sind natürlich auch jetzt noch unglaublich freundlich und hilfsbereit. Aber die pulsierende Metropole erkenne ich hier derzeit nicht. Suche morgen weiter…
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