Kopftücher, Pashminas, lange Röcke, weite Hosen, flache Schuhe, alles Kleidungsstücke, auf die keine Frau verzichten möchte, nirgends auf der Welt. Bequem, praktisch, schön. In Istanbul, wo europäisches „modisch geht alles“ auf orientalisches Verhülltsein trifft, drängen sich Fragen auf. Fragen nach der Freiwilligkeit und der Notwendigkeit des Kopftuchs. Haben sich Männer hier eventuell nicht im Griff?
„Europakonvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ heißt ein Übereinkommen des Europarates, das im Mai 2011 in Istanbul aufgelegt wurde und den Unterzeichnerstaaten Richtlinien für Prävention, Opferschutz und Strafverfolgung an die Hand geben soll. Erfasst werden darin alle möglichen Formen von Gewalt gegen Frauen – darunter Zwangsverheiratung, sexuelle Gewalt und psychische Gewalt. Themen also, die nicht erst seit dem Mord an der Studentin Özgecan Aslan im vergangenen Februar hochaktuell für die türkische Gesellschaft sind. 14 Staaten haben das Übereinkommen inzwischen ratifiziert. Ausgerechnet die Türkei – damals noch unter Premierminister Erdogan – machte den Anfang.
Es ist dennoch, als sei das Land gefangen in einem sehr türkischen Widerspruch: Bei den Frauenrechten steht die Türkei noch ziemlich am Anfang – einerseits. Andererseits ist sie in dieser Hinsicht ziemlich weit vorne. Die Entwicklung verläuft nicht kontinuierlich, und die Grenzen verwischen in allen Bereichen. Wie hart der Kampf um Gleichberechtigung ausgefochten wird, ist wohl in keinem anderen islamischen Land besser zu beobachten als in der Türkei, wo es den Frauen zwar deutlich besser geht als ihren arabischen Nachbarinnen – aber deutlich schlechter als den europäischen.
„Wo sind unsere Töchter, die rot wurden, wenn man ihnen ins Gesicht sah, die beschämt den Blick senkten oder die Augen abwendeten? Sie, die ein Symbol für Ehre und Schamhaftigkeit waren?“ So wurde der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arinc im vergangenen Sommer zitiert. Und fügte zum Entsetzen weiter Teile der türkischen Gesellschaft hinzu: „Männer sollten ihrer Familie gegenüber loyal sein und ihre Kinder lieben. Frauen sollten zwischen privaten und öffentlichen Dingen unterscheiden können. Sie sollten nicht vor jedermann lachen und keine aufreizenden Bewegungen machen.“
Aktivisten, Opfer und Experten in der Türkei machen diese Grundhaltung für die anhaltende Gewalt gegen Frauen verantwortlich – und die sie durch die konservative Politik der regierenden AKP noch forciert sehen. 34 Prozent der türkischen Männer, so zeigte eine Studie im Jahr 2013, halten häusliche Gewalt für gelegentlich notwendig.

Trotz zahlreicher Gesetzesänderungen der vergangenen Jahre, trotz aller Initiativen zum Thema Opferschutz und Gewaltprävention und trotz der Beteuerungen von Präsident Erdogan und Premier Davutoglu, den jüngsten Mord an Studentin Özgecan Aslan persönlich aufklären und den Täter vor Gericht bringen zu wollen – türkische Feministinnen beeindruckt das nicht. Solange die Frau weiter ausschließlich als heilige Mutterfigur dargestellt werde, lasse sich die Gewalt gegen Frauen in diesem Land nicht stoppen. Sie werde nicht aufhören, solange der Regierung der politische Wille fehle, auf diesem Gebiet wirklich etwas zu verändern, meinen sie.