August Graf von Platen-Hallermünde starb in Syrakus. Am Grab des Dichters und ein Blick auf die Straße seines Namens:
Graf August von Platens letzte Ruhestätte ist nicht leicht zu finden. Sie liegt im Garten des Archäologischen Museums Paolo Orsi im Syrakuser Tyche-Viertel: Wer sein Grab sucht in der idyllischen Villa Landolina, tut gut daran, an der Pforte zu fragen. Nichts weist auf den Orientierungstafeln des kleinen Parks auf den einstigen protestantischen Friedhof hin, den hier die Marchesi Landolina in einem abseits gelegenen Winkel anlegen ließen.
Undenkbar im Sizilien des 19. Jahrhunderts war es, Protestanten auf den Gottesäckern der Katholiken zur letzten Ruhe zu betten. Nicht lange war Platen, der seit 1826 den italienischen Stiefel ruhelos bereist hatte, in Sizilien. Im September 1835 kam der deutsche Dichter in Syrakus an. Aus Angst vor der Cholera war er einige Wochen zuvor aus Neapel geflüchtet, war mit dem Schiff nach Palermo übergesetzt. Zu Fuß, quer durch die bergige, schlecht erschlossene Insel, gelangte er in den Südosten Siziliens, nach Syrakus.
Syrakus war eine Metropole der Antike: Im Jahre 733 vor Christus als griechische Kolonie von korinthischen Siedlern gegründet und unter Dionysos dem Älteren zur wichtigsten Macht im Mittelmeer aufgestiegen, ausgestattet mit prächtigen Bauten und in dieser Epoche sogar einflussreicher als Athen. Doch schon in der römischen Epoche begann der Niedergang Syrakus’. Zu Platens Zeit war kaum viel mehr übrig von der antiken Pracht als die historische „Wachtelinsel“, die Ortygia, das einstige kulturelle Herz der griechischen Stadt. Die Villa Landolina lag, als Platen Syrakus erreichte, abseits der bewohnten Ortygia.
Der deutsche Dichter wollte hier überwintern und Geschichtsstudien betreiben, heißt es. Am 23. November erkrankte er allerdings an einer Kolik, die er für Cholera hielt und mit falschen Mitteln zu bekämpfen versuchte. Am 5. Dezember starb er an einer Überdosis dieser Medikamente in den Armen seines Gastgebers, des Marchese Mario Landolina. Der auch ließ ihm einen Gedenkstein setzen. 1869 kam ein Denkmal hinzu, an dem noch heute Unbekannte rote Rosen ablegen: Platens Büste ruht auf einer mit den Insignien des Dichters geschmückten Stele und es scheint, als blickte er von hier aus über die Parkmauer auf „seine“ Straße: die nach ihm benannte Via Augusto von Platen, die abzweigt von der Viale Teocrito und die heute alles Sizilianische verkörpert, nur nicht das klassische Ideal der Antike.
1943, kurz vorder Kapitulation Italiens im Zweiten Weltkrieg, wurde Tyche, das Stadtviertel, in dem der Park und die Straße liegen, bombardiert. Die Folgen wurden, wie so oft auf Sizilien, schlicht ignoriert und der Wiederaufbau folgte seinen eigenen Gesetzen. Auf der zur Straße gelegenen Seite der Parkmauer, direkt hinter Platens Gedenkstein, wird heute eine kleine Tankstelle betrieben. Ihr gegenüber liegt die Einfahrt zum Parcheggio von Platen, einer geräumigen Abstellmöglichkeit für Wohnmobile. Die Fläche wird gebraucht, weil nur ein paar Meter weiter, in der Viale Teocrito die Chiesa Madonna delle Lacrime liegt, eine in den 1990ern vom Papst geweihte, architektonisch eigenwillige Wallfahrtsstätte, die jedes Jahr Zehntausende Pilger anlockt und im Volksmund Zitronenpresse“ genannt wird.
Entlang der Einfriedung des Caravan-Parkplatzes flattern grün-weißrote italienische Nationalfahnen in der auf Sizilien niemals ruhenden Brise. Die Banner sind genauso zerzaust wie die auf die Mauer aufgeklebten Buchstaben des Parkplatzes, was dem sizilianischen Klima geschuldet ist, das in den Wintermonaten klamm und kühl und windig ist. Die salzige, feuchte Luft des nahen ionischen Meeres setzt den Gebäuden zu, überzieht sie mit Schlieren, frisst sich in das Mauerwerk, so wie auch in Platens Büste im Park der Villa Landolina oder in der Gedenkplatte, aus der mittlerweile ganze Teile herausgebrochen sind.
Bröcklig sind auch die Balkone der Mietshäuser entlang der Via Platen. Von der Abgeschiedenheit, die Platens letzten Ruheort im Park fast etwas Entrücktes verleiht, ist auf der Straße nichts zu spüren: Vespas knattern, Autos hupen. Dazwischen Sirenengeheul der Syrakuser Feuerwehr, der Vigili del Fuoco, die hier eine Einsatzzentrale hat. Noch eine Adresse für Lebensretter hat die Via Augusto von Platen: ein Blutspendendienst. Vorbei an den Auslagen eines Möbelgeschäftes, an einem Schönheits-Salon „von Platen“ und einer genossenschaftlichen Wohnanlage geht es ansteigend in Richtung der Vigna-Cassia-Katakomben mit ihren Beisetzungskammern und freskenverzierten Wänden und weiter zur Latomia dei Cappuccini, einem bewachsenen Steinbruch direkt an der ionischen Küste.
Auch die Villa Landolina liegt auf einem alten Steinbruch, über einer heidnischen Nekropole – und eine eigentümliche, weltentrückte Stimmung ist am von Zypressen beschatteten Grab Platens zu spüren. So wie im ganzen Tyche-Viertel, das in der Antike eine Stadt der Toten war. Gräber, wohin man schaut. Wenn man sie sucht.