Rusted from the Rain

August, 14 Grad, Dauerregen. Runter vom Sofa, rein in den Matsch. Am Wochenende war Taubertalfestival. Ohne Gummistiefel ging gar nichts. Zum ersten Mal in über 20 Jahren dabei: Billy Talent. Großes Finale.
Sie haben eine recht direkte Art, die Dinge zu benennen. Sie sind zu viert, aus Pittsburgh in den USA, und ihre Band heißt „Anti-Flag“: Die Polit-Punker aus Pennsylvania spielen auch schon mal umsonst, zum Beispiel im Frühjahr in Köln beim Festival „Solidarität statt Hetze“. Justin Sane (Gesang, Leadgitarre), Chris Barker (Bass, Gesang), Chris Head (Rhythmusgitarre, Hintergrundgesang), Pat Thetic (Drums) machten auch beim Taubertal-Festival kein Geheimnis um ihre Gesinnung: kein Rassismus, kein Krieg, keine Ausbeutung, kein Sexismus, kein Rassismus, keine Homophobie. Unermüdlich tun sie das auf der Bühne, laut, aggressiv. Fast wie ein Weckruf.

„Biffy Clyro“ ist ebenfalls schon ewig unterwegs. Die Schotten Ben Johnston, James Johnston und Simon Neil, einst ein Geheimtipp aus der Progrock-Nische, sind mittlerweile Chartstürmer, ohne sich allzu sehr verbiegen zu müssen. Dass sie zu den überzeugenden Livebands der Welt zählen, stellten sie auch im Taubertal unter Beweis. Dabei präsentierten sie jeden einzelnen Song mit schweißtreibender Wucht, Energie und Intensität.

Singen, tanzen, springen lässt Casper sein Publikum auf der Eiswiese. Der deutsch-amerikanische Rapper mit der ungewöhnlich rauen Stimme gilt durch seine emotionalen Texte als Gegenentwurf zum Gangsta-Rap. Casper ist und bleibt zwar in der Rapmusik verwurzelt, heute kommt seine Band aber kaum mehr ohne Gitarre, Bass und Schlagzeug aus. Casper definiert mit dem Wort Rap seine Musik nicht mehr so klar wie noch vor Jahren, er schlägt zwar noch die aggressiven Töne an, scheut sich aber auch nicht vor der kitschigen Gefühlsduselei.

Mit „Billy Talent“ endete das Taubertal-Festival. Die kanadische Alternative-Rock-Band machte aus den Tausenden Fans auf der Eiswiese einen brodelnden Hexenkessel. „In Extremo“ und „Alligatoah“ hatten das Publikum zuvor auf die richtige Betriebstemperatur gebracht.

„In Extremo“ lässt die Eiswiese gleich zum Auftakt mit einem riesen Feuerwerk auf der Bühne schmelzen. Die Band fackelt ihren Eröffnungssong regelrecht ab. Das ist es, was die Fans lieben und fordern. Die Band macht Rockmusik mit teils seltenen Instrumenten, Melodien und Texten aus Mittelalter und Renaissance, auch mal in Russisch wie bei „Black Raven“, und zählt zu den kommerziell erfolgreichsten Deutschlands. Sie füllt große Hallen, hat sich in über 20 Jahren treue Anhänger erspielt. Ihr Deutschrock mit Dudelsackeinlagen reißt auch das Taubertal mit.

„Musik ist keine Lösung“, meint „Alligatoah“ und bietet deshalb gleich mal ein Fest für die Augen. Bei diesem „Himmelfahrtskommando“ sitzt der Rapper hauptsächlich in einem Ballonkorb, wird begleitet von seinem „Geflügel“, wie er seine Musiker mit Engelsflügeln nennt. Der „Schauspielrapper“, wie er sich selbst bezeichnet, ist witzig. Die Welt ist verrückt – und „Alligatoah“ clever genug, um es ihr mit teuflischer Engelsstimme, eingängigen Melodien und tiefschwarzem Humor vor Augen zu führen. Ein rappender Liedermacher auf Beobachtungsposten, mit schnellem Mundwerk, spitzer Zunge und vielen Ideen.

Gar nicht genug von der schönen Aussicht auf die hoch oben liegende Rothenburger Altstadtsilhouette kriegt Benjamin Kowalewicz, Sänger von „Billy Talent“. Die Kanadier, die 2018 ihr 25. Bühnenjubiläum feiern, hatten heuer Taubertal-Premiere. Ian D’Sa betritt mit seiner Gitarre die Bühne vor dieser grandiosen Kulisse, wird kurz in zartrotem Licht angestrahlt und schlägt sofort die Töne aus den Saiten. Die Crowd ist hellwach, und spätestens als Kowalewicz bei „Devil in a Midnight Mass“ auf seine unverwechselbare Art ins Mikro grölt, gibt es kein Halten mehr. Band und Fans befinden sich nach drei Songs in völliger Ekstase. Viele schweben über der Menge und lassen sich auf den Händen der anderen bis vor zur Bühne tragen.
90 Minuten Vollgas. Klassiker wie „Surrender“ oder „Red Flag“ sind Selbstläufer. Bandleader Kowalewicz hüpft in weißer Hose und rotem Hemd wie ein Gummiball von links nach rechts und wieder zurück. Zwischendurch klare Ansagen: kein Faschismus, kein Sexismus, keine Homophobie. Eine Kampfansage, an alle „Feiglinge in Trump-Amerika“ gerichtet. Ganz ruhig wird er, als er an Chester Bennington erinnert, den „Linkin-Park-Sänger“, der sich kürzlich das Leben nahm. Anschließend beim „Nothing to Lose“ herrscht auf der Eiswiese Gänsehautstimmung.

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