Pozzallo

Der Hafen von Pozzallo ist vermutlich der sauberste Flecken auf Sizilien. Kein Müll am Straßenrand, keine wild parkenden Autos, keine streunenden Hunde. Der Metallzaun, der die Anlage einzäunt, wirkt wie frisch gestrichen. Diese Anmutung wird streng bewacht, von Soldaten mit Maschinengewehren. Bewacht vor wem? Der Hafen wirkt menschenleer. Ich muss schon ein paar Mal am Zaun entlang gehen, um überhaupt etwas zu entdecken von dem, was sich hinter diesem Bollwerk abspielt: Wracks, die sauber aufgestapelt sind. An den arabischen Zeichen erkennt man sofort, worum es sich handelt: Flüchtlingsboote. Natürlich will ich das fotografieren. Damit habe ich aber sofort die Soldaten auf mich aufmerksam gemacht.

Hafen

Was ich hier mache, fragen sie mich. Ich stelle mich so, als ob ich sie nicht verstanden hätte. Aber der dann auf Englisch geforderten Auskunft kann ich mich nicht mehr verweigern. Ich erkläre es dem reglos blickenden Soldaten. Dass ich Journalistin sei. Ich zeige ihm meinen Presseausweis, aber wie befürchtet, macht das die Lage nicht besser. Vielleicht hätte ich mich als Touristin ausgeben sollen, die nach Malta will. Zu spät. Der Wächter verdeutlicht mir, dass ich eine offizielle Erlaubnis brauchen würde, um in den Hafen zu gelangen. Wo ich die bekommen könnte, sagt er mir allerdings nicht. So wie ich Sizilien kenne, wäre das vermutlich ohnehin ein Behördengang sondergleichen.

Ich verzichte also auf mein Foto und die Soldaten irgendwie heimlich zu fotografieren, das lasse ich auch lieber sein, denn die Stimmung hier am Hafen wirkt angespannt. Sie hat so gar nichts von der Aufbruchsstimmung, die einen in der ganzen Welt ganz von selbst dort befällt, wo Schiffe verkehren. Immerhin können mir die Soldaten nicht verbieten, den benachbarten Strand aufzusuchen. Dort gibt es auch eine kleine Bar, aber die hat geschlossen. In Sizilien ist für dieses Jahr Fine Stagione. Nur der Metallzaun trennt das Café vom gespenstisch ruhigen Hafen. Auch nach Malta fahren momentan offenbar keine Fähren. Als Bollwerk zwischen Strand und Hafengelände dienen riesige Steinklötze, auf die ich klettere, um über den Zaun zu schauen. Zu sehen bekomme ich allerdings nur ein paar Privatboote und das Gebäude der Guardia Costiera. Keine einzige Menschenseele scheint es in diesem Hafen zu geben. Auch in der verwaisten Bar gibt es keine Auskunft.

150000 Migranten, so lässt sich recherchieren, sollen in den vergangenen 30 Jahren in diesem Hafen an Land gegangen sein. Jedes Jahr wurden es mehr, das Thema Flüchtlinge war hier schon evident, als der Rest Europas noch müde abwinkte. Sizilien war ja ziemlich weit weg. Und Pozzallo, an der Grenze Europas, kannte niemand. Dann tauchte der Name in den Fernsehnachrichten auf, zuerst nur manchmal, dann regelmäßig. Zuletzt, weil der italienische Innenminister Salvini Rettungsschiffen verbot, italienische Häfen anzulaufen. Also kommen auch keine mehr nach Pozzallo. Deshalb ist auch das Erstaufnahmelager im Hafen leer. Private Rettungsschiffe gibt es momentan kein einziges im Mittelmeer. Weshalb vermutlich noch mehr Menschen auf See sterben werden. Bis etwa Mitte dieses Jahres kamen laut offiziellen Zahlen 1500 Kinder, Frauen und Männer um.

Den Schleppern auf afrikanischer Seite ist das gleichgültig. Sie nehmen von denen, die aus Afrika weg müssen, einen Haufen Geld, so what, ob sie die 400 Kilometer über das Mittelmeer schaffen. Ja, sie spekulieren darauf, dass Rettungsschiffe kommen und die Menschen aufnehmen. Nur, dass derzeit keine unterwegs sind. Der Tod steigt mit in jedes erbärmliche Schlauchboot.

Francesca Melandri schreibt in ihrem gut recherchierten Roman „Alle, außer mir: „Wer auf der Überfahrt nicht verdurstet oder an Unterkühlung stirbt, oder an einer Blutvergiftung wegen des Kots und der Kotze, die auf dem Bootsboden herumschwimmen, stirbt daran. Treibstoffverbrennung. Vorausgesetzt, du ertrinkst nicht, klar.“ Wenn Treibstoff ins Boot läuft und sich mit dem Spritzwasser vermischt und Menschen in der Brühe aus Treibstoff und Salzwasser sitzen, wird ihr Körper zunächst taub. Dann fängt er an zu stechen, die Haut wird violett, wie bei einem schweren Sonnenbrand. Die Schmerzen, die dann einsetzen, sind unerträglich. Die Flüchtlinge kommen in immer schlechteren gesundheitlichen Zustand in Italien an. Schon das oft jahrelange Warten in Libyen unter menschenunwürdigen Bedingungen setzt den Menschen zu.

Boote

Die Pozzallesi sind sich einig, dass man diese Flüchtlinge retten muss. Pozzallo ist eine Stadt der Seefahrer. Für sie gilt neben dem italienischen Recht auch das Recht der Seefahrer und aus dem leitet sich ab, nicht wegzusehen, wenn ein Mensch in Not ist. Andererseits beklagen sie, dass es einfach zu viele sind und dass das reiche Nordeuropa einfach wegschaut. Wenn ein Flüchtling Hunger hat, dann bekommt er etwas zu essen, klar. Aber wenn zehn Hunger haben, dann bleibt mir nichts, so denken die Sizilianer und geben damit Salvini recht.

In diesem Sommer hat es eine Gedenkveranstaltung gegeben in Pozzallo, für die ungezählten Toten, die draußen im Meer geblieben sind und für die 40 Toten, die vor einigen Jahren am Strand lagen. Dabei wurde das Gedicht eines jungen Eritreers verlesen, der im Frühjahr eineinhalb Tage nach seiner Rettung gestorben ist. „Ist es wirklich so schön, alleine zu leben? Deinen Bruder in Zeiten der Not zu vergessen?“

Promenade
Kinder spielen vor dem Mittelmeer im Abendlicht Ball.

 

Das frage ich mich an diesem Nachmittag in Pozzallo, das wie ein ganz normales sizilianisches Städtchen wirkt, vielleicht etwas sauberer. Migranten sieht man kaum, drei junge Afrikanerinnen schleppen Einkaufstüten in Richtung Hafen. Die Kirche wird auf Hochglanz gebracht, am Wochenende ist die Festa der Stadtheiligen Rosalia. Kinder spielen Ball, Jugendliche treffen sich an der neu angelegten Promenade. Das Mittelmeer ist an diesem stürmischen Tag sehr aufgewühlt. So wie ich. Ich schaue hinaus in diese Inszenierung aus Licht und Wasser. Abendstimmung am Strand, in Pozzallo genießt sich die nicht unbeschwert.

Ich trinke noch einen Café, schaue dem Feierabendtreiben der Einheimischen zu, freue mich über eine dieser alten Tankstellen, die einfach so mit einer Zapfsäule am Straßenrand stehen. Ich fahre bei der Weiterfahrt noch einmal durch den Hafen. Und sehe dort doch noch Menschen: Eine Gruppe junger Männer. Zwei fallen sich erleichtert um den Hals, so als ob sie sich schon lange nicht mehr gesehen hätten. Ich wünsche mir, als ich die beiden beim Vorbeifahren beobachte, dass wenigstens ihre Geschichte gut ausgegangen ist.

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