Gestern gingen Millionen Menschen weltweit auf die Straße, um für das Klima zu demonstrieren. Hier in Sizilien war das gar kein Thema. Ein Instagram-Aufruf einer Organisation, die den digitalen Nomaden einen Arbeitsplatz auf Zeit vermietet in Siracusa, verhallte ungehört. Likes bekamen die Initiatoren, die beim Wandel niemanden zurücklassen wollen und für Klima und soziale Gerechtigkeit stehen, für ihr Bemühen jedenfalls so gut wie keine. Auf den Straßen hier: alles wie immer. Belebt, quirlig, aber unpolitisch.
Ich fühlte mich deshalb ein bisschen schlecht und auch ein bisschen ausgeschlossen von dieser coolen weltweiten Community, die da auf den Straßen für die Zukunft demonstrierte. Wenigstens in den sozialen Netzwerken ergatterte ich die eine oder andere Information, sah Fotos von Greta Thunberg, die fast schon den Charakter einer überirdischen Heiligen angenommen zu haben scheint.
Ich also gestern zur Tatenlosigkeit verdammt in meinem sizilianischen Exil. Aber, so viel ist ja auch bekannt, der Wandel fängt ja immer bei einem selbst an. Ich dachte über meinen bescheidenen Beitrag zur Weltrettung nach. Ich tue in meinem Alltag seit Jahren ja, was ich kann, verzichte zum Beispiel wo es geht auf Plastik, esse kaum noch Fleisch, kaufe nicht-vegane Produkte nur aus Quellen, von denen ich glaube, dass sie das Tierwohl achten. Ich trenne akribisch meinen Müll. Wenn meine Restabfalltonne nur alle zwei, drei Monate geleert werden muss, dann empfinde ich das als kleinen persönlichen Sieg. Ich habe meinen individuellen Konsum auf ein Minimum reduziert, bringe das, was ich nicht mehr brauche, über einen Umsonstladen in den Kreislauf zurück. Ich bin mit meinem veralteten iPhone glücklich, mit meiner veralteten Kamera, meinem zehn Jahre alten Fernseher. Ich streame nicht, wenn ich glotze, dann ganz konventionell, auch, weil das viel weniger Strom verbraucht. Ich halte im Winter im Haus die Temperatur bei stabilen 19 Grad, meine Freundinnen wollen mich deswegen dann nicht besuchen. Sie bleiben lieber an ihren kuscheligen Holzöfen, mit denen sie das in den Bäumen gespeicherte CO2 wieder freisetzen. Ich wasche nur bei voll beladener Trommel, den Wärmepumpen-Wäschetrockner schalte ich höchstens fünf Mal im Jahr ein. Ich verzichte auf das Auto, meinen geliebten Volvo, wann immer es geht und wenn ich es, meist beruflich, doch anlassen muss, überlege ich vorher, was ich mit der Fahrt noch alles verbinden könnte: Großeinkauf, Wertstoffhof, Eltern besuchen. Ich überlege mir zweimal, ob ich Ausflüge wirklich machen soll/will/muss. Ich empfinde es als Geschenk des Himmels, dass ich zu Fuß zwei Minuten zu meiner Redaktion brauche und keine Karrierechance der Welt würde mich dazu verleiten, diesen Luxus aufzugeben.
Und trotzdem fühlte ich mich gestern schlecht. Weil ich jetzt hier bin, weil ich dazu in ein Flugzeug gestiegen bin. Dass ich vor einigen Monaten mit dem Zug hierher gekommen bin, macht mein Gewissen nicht reiner. Bin ich also auch nur eine von denen, die so tun als ob sie den Planeten retten wollen – und dann? Bis dato sind im Jahr 2019 mehr Menschen von deutschen Flughäfen gestartet als je zuvor, ich glaube mich an die Zahl 58 Millionen zu erinnern. Also nicht mehr fliegen? Immer mit dem Zug fahren? Mit dem Fahrrad? Mit dem Elektroauto? Zu Hause bleiben? Und was mache ich dann mit dem Haus hier? Verkaufen? Verschenken? Verrotten lassen? Auf ein Erdbeben hoffen? Keine Ahnung.
Es gibt für mich keine einfachen Antworten. Jede Entscheidung ist zu hinterfragen. Abwägen ist für mich das Wort der Stunde. Den eigenen Kopf benutzen und notfalls gegen den Strom schwimmen. Denn immer häufiger beschleicht mich im Zusammenhang mit der Klimarettung ein mulmiges Gefühl, nämlich, dass diese Bewegung für viele nur ein Hype sein könnte. Oder einfach, wie viele grandiose Ideen in der Vergangenheit, zu einer Geschäftsidee verkommt. Banksy hat dieses mulmige Gefühl in „Destroy capitalism“ ganz treffend ausgedrückt: Die brav wartende Schlange vermeintlicher Individualisten vor einem T-Shirt-Stand, an dem banale rote Baumwoll-Leibchen für 30 Dollar feil gehalten werden.

Vorgemacht hat das Geschäftsmodell Klimarettung ja die Autoindustrie, die mit Hilfe der Politik versucht, uns zum Kauf von Elektromobilen zu animieren. Dafür sollen voll funktionsfähige Pkw verschrottet werden. Da soll mir doch bitte mal jemand die Gegenrechnung aufmachen: Wo ist der Vorteil für das Klima, wenn ich ein Elektroauto mit Atomstrom oder Strom aus einem Kohlekraftwerk laden soll? Die Energie, die für die Produktion des Mobils benötigt wird, kommt ja auch noch dazu. Dann doch lieber mein Volvo, der ist schon da, fährt äußerst sparsam und bringt mich von meinem Wohnort ohne Zugverbindung verlässlich zum nächsten Bahnhof. Und seitdem ich kaum noch fahre, sind mir auch die Spritpreise ziemlich egal, soll der Liter halt zwei oder drei Euro kosten, da waren wir aus anderen Gründen vor gar nicht allzu langer Zeit ja schon mal und das hat auch niemanden daran gehindert, sich ins Auto zu setzen. Dass Zigaretten jetzt so teuer sind, hindert ja auch niemanden am Rauchen, oder?

Die Sache mit den Autos ist ja ziemlich offensichtlich. Aber was im Netz jetzt alles angeboten wird, um die Welt besser zu machen und gleichzeitig ein Konsumbedürfnis in uns weckt für Dinge, die wir gar nicht brauchen, das überrascht mich dann doch. Abdeckfolie aus Bienenwachs statt Klarsichtfolie, Silikondeckel statt Klarsichtfolie, abwaschbare Wattestäbchen aus Silikon, waschbare Kosmetikpads und wer weiß noch was. Sieht alles sehr hübsch aus, so clean und stylisch. Aber nehmen wir nur mal die Kosmetikpads: wie viele davon müsste ich mir kaufen, damit sie mir reichen, bis meine Waschmine das nächste Mal umweltverträglich vollbeladen läuft? Warum nicht einfach einen spießigen Waschlappen nehmen? Oder diese hübschen bunten Bienenwachstücher: Mal angenommen, allein 80 Millionen Deutsche würden künftig ihr tägliches Pausenbrot in ein Bienenwachstuch einpacken: Angeblich sind die ja voll natürlich und halten ein Jahr lang. Wie viel Bienenwachs bräuchte man für 80 Millionen solcher Tücher? Gibt es so viel Bienenwachs überhaupt auf dem Markt? Und wie viel Baumwolle wäre nötig? Und wie wurde die Baumwolle angebaut? Und wo? Wie und unter welchen sozialen Bedingungen wurde sie geerntet? Wie viel Wasser wurde dafür wo abgezogen, wo es dringender nötig wäre? Ich weiß nicht. Vielleicht tut es ja auch einfach schnödes Butterbrotpapier mit einem Gummi rum? Oder wer es etwas bequemer will, so wie ich: Butterbrotpapiertüten, da braucht man dann nicht mal mehr einen Gummi rum. Und dann hab ich in der hübschen Werbung auf Instagram auch dieses voll nachhaltige Klopapier aus Bambus gesehen. Ich glaube, acht Rollen kosten zwölf Euro oder so und verpackt sind sie in einem Karton aus zertifizierten Holzquellen und man kann sie bestellen. Das klingt alles so super. So schöne neue Welt. Aber was ist gegen ganz profanes Klopapier aus Altpapier aus dem Drogeriemarkt um die Ecke einzuwenden? Das gibt es schon seit ewigen Zeiten, die meisten haben den blauen Umweltengel. Ok, ich hab noch keines gefunden, das in einer Papiertüte verpackt ist. Aber für Klopapier aus 100 Prozent Altpapier, unbedruckt und zweilagig, muss weder ein Baum gefällt werden, noch ein Bambus. Zehn Rollen kosten zwei Euro. Und ganz nebenbei: Der Paketbote freut sich auch, wenn nicht Millionen Deutsche jetzt auch noch ihr total nachhaltiges Klopapier im Internet bestellen. Zu weniger Verkehr in den Städten würde das jedenfalls nicht führen.
Gleiches gilt für Küchenpapier, auch das gibt’s jetzt schon wiederverwendbar. Da steht dann so eine Bambus-Rolle, von der ich Blätter abreißen kann, und die kann ich dann hinterher wieder waschen, wenigstens ein paar mal, und dann, wohin tut man dann die gewaschenen Küchenrollenblätter? Gibt es dann dafür auch noch eine spezielle Aufbewahrungsbox? Warum nimmt man dann nicht einfach gleich ein Geschirrtuch, um den Fisch abzutrocknen? Oder eben Küchenrolle aus 100 Prozent Altpapier, wenn man vielleicht kein fischelndes Stofftuch haben will bis zur nächsten Wäsche?

Ich werde auch meine Plastik-Vorratsdosen nicht wegwerfen, nur in Zukunft eben keine mehr kaufen. Dafür hebe ich die leeren Eiscremebehälter auf, die sind auch super für Essensreste oder wenn man Gästen noch was mit vom Nachtisch mit nach Hause gibt, ehe er verdirbt. Klar, sie sehen im Kühlschrank nicht so stylish aus, aber sie bekommen dadurch eine neue Verwendung. Und ich werde auch trotzig meine Frischhaltefolie aufbrauchen, wenn ich mal unbedingt was abdecken muss, weil ich zum Beispiel keine leere Eisdose mehr habe. Denn ob ich die Folie unbenutzt im Block wegwerfe, um sie im schlimmsten Fall mit neu erworbenen Bienenwachstücher zu ersetzen, oder eben etappenweise, nachdem ich jeweils ein Stück davon verwendet habe, ist doch der Müllhalde gleichgültig. Aber etwas völlig unbenutzt wegzuwerfen, das wäre in meinen Augen die reinste Ressourcenverschwendung. Ich will mich diesem angeblich so hehren neuen Konsumdruck, der aber zum Teil dem gesunden Menschenverstand widerspricht, einfach nicht beugen. Denn ein Teil der Antwort ist doch eben gerade, auf Konsum zu verzichten.

Und dann ist mir gestern doch noch der ganz profane Beitrag der Sizilianer zum Klimaprotest eingefallen: Hier lässt keiner das Licht an, wenn er als letzter den Raum verlässt. Wenn ich aber mal vergessen habe, das Licht in meiner Küche auszumachen, weil ich nur kurz zum Bäcker will, dann weist mich die Nachbarin jedes Mal mahnend darauf hin. Davon könnte man sich ja mal eine Scheibe abschneiden: Wenn alleine 80 Millionen Deutsche jedes mal das Licht ausmachen würden, wenn sie den Raum verlassen, dann wäre das schon mal ein Anfang!