Kontrolle mit Aussicht

Sie standen da wie drei Wegelagerer. Oder wie Banditen, denn einer trug ein Maschinengewehr An einem Aussichtspunkt an der SS 188 zwischen Chiusa Scalfani und Giuliana, der uns einen Blick in die wunderschöne Landschaft in dieser Gegend möglich gemacht hätte. Möglicherweise hätten Ben und ich an dieser Stelle auch freiwillig angehalten. Wir waren auf einem Roadtrip durch Sizilien, ohne konkretes Ziel. Sich treiben lassen, unerwartete Abzweigungen nehmen, sowas. Von Corleone aus wollten wir an diesem Abend noch die sizilianische Südküste erreichen. Wenn nicht, auch nicht so schlimm.

Es waren aber drei Carbanieri, die uns also auf den Parkplatz mit der malerischen Aussicht lotsten. Sie waren wie gesagt zu dritt, einer von ihnen sicherte mit seinem Maschinengewehr im Anschlag die Straße, auf der uns seit mindestens einer halben Stunde niemand entgegen gekommen war und hinter uns war in dieser Zeit auch niemand. Wir waren für die Carabinieri also eine willkommene Abwechslung. Die einzige. Derjenige, der das Sagen hatte, wollte dann natürlich erst einmal das Übliche: Führerschein, Fahrzeugpapiere. Letzteres war kein Problem, die lagen im Handschuhfach des gemieteten Fiestas. Mein Führerschein, so war ich felsenfest überzeugt, wäre in meinem Rucksack im Kofferraum. Wie es immer so ist, Nervosität machte sich breit und zuerst glaubte ich, nur wegen meiner Aufregung den blöden Führerschein nicht zu finden. X-mal durchwühlte ich mein schmales Gepäck und konnte ihn nicht finden. Bis ich schließlich einräumen musste, ihn nicht dabei zu haben.

Nach diesem Eingeständnis waren die Carabinieri in ihrem Element. Da fing die Kontrolle erst richtig an. Demonstrativ nahmen zwei von ihnen den Wagen in Augenschein, den Kofferraum, umrundeten unser Auto mehrfach. Verlangten einen Ausweis, auch von Ben, meinem Beifahrer. Nahmen die Dokumente an sich, gingen zu ihrem dunkelblauen Fahrzeug, holten ein iPad raus und fingen an, sie auf ihre Echtheit zu überprüfen und zu checken, ob wir möglicherweise gesuchte Verbrecher oder Terroristen oder Illegale sein könnten. Der Dritte mit dem Maschinengewehr fixierte uns währenddessen aufmerksam, immer seine Waffe im Anschlag. Nur nicht nervös werden…

Die Überprüfung dauerte. Ziemlich lange. Endlos lange. Sämtliche Verfehlungen der letzten zehn Jahre gingen mir durch den Kopf, alle Schwierigkeiten, die ich in Sizilien nicht lösen konnte, weil mich die dafür zuständigen Behörden von Amtsstube zu Amtsstube geschickten hatten, wo ich immer nur die selbe Antwort bekam: „Non lo so! – ich weiß nicht!“ Irgendwann verabschiedete mich von meinem deutschen Wunsch, alles korrekt zu regeln. Insofern bin ich jetzt also doch in gewisser Weise eine illegale Einwanderin.

Dort oben auf dem malerischen Aussichtspunkt war ich mir sicher, dass das jetzt alles raus kommen würde, weil wir ja bei keinem Beherbergungsbetrieb offiziell gemeldet waren. Möglicherweise könnten wir uns mit dem Meldezettel aus der Pension in Palermo, die wir am Morgen verlassen hatten, irgendwie retten und mit dem Hinweis, dass wir und für den Abend erst etwas suchen müssten. Das legte ich mir als Ausrede zurecht, wenn ich gefragt werden sollte, wo dieses Ferienhaus denn sei, in dem ich meinen Führerschein vergessen hatte. Immer mehr Ausflüchte dachte ich mir aus, während ich versuchte, mit den Carabinieri Small Talk zu machen. Versuchte, ein bisschen Charme spielen zu lassen. Der Typ mit der Waffe reagierte darauf natürlich nicht. Er versuchte sich in einem undurchdringlichen Blick. Der andere fuchtelte im Polizeiauto und davor mit seinem iPad rum, auf der Suche nach Empfang, während der Wortführer durchaus einem kleinen Plausch mit mir nicht abgeneigt war.

Er wollte wissen, ob ich Italienerin sei. Zuerst dachte ich, der wolle mich verarschen, fragte ihn, wie er auf diese abseitige Idee käme. Na ja, meine Vornamen im Ausweis, antwortete er: Martina Angela, da gebe es ja sicher einen italienischen Papa oder eine sizilianische Mama. Nun, nein, nicht. Aber meine rätselhafte Verbundenheit mit dieser Insel, mit diesem Land scheinen mir meine Eltern wohl schon mit meinen Namen in die Wiege gelegt zu haben.

Als ich ihn fragte, ob es Probleme mit unseren Papieren gebe, meinte er nur, nein, soweit erstmal nicht, er wisse es aber nicht, denn die Übermittlung an irgendeinen Interpol- oder wer-weiß-welchen-Server dauere. Das Internet hier in der Gegend sei einfach nur „lentissimo“. Aber wir könnten ja die Zeit nutzen, um die wunderbare Gegend zu genießen (mit Maschinengewehr im Rücken).

Gefühlte Stunden später bekamen die sizilianischen Ordnungshüter dann ihre Auskunft: Sie hatten es bei uns nicht mit gesuchten Straftätern zu tun. Oder sie gaben vor, ihre Auskunft bekommen zu haben, denn das Internet war hier gar nicht vorhanden, es gab hier oben überhaupt kein Netz, wie mir ein verstohlener Blick auf mein Handy bewies. Wir durften also weiter. Allerdings, so die Bedingung, durfte ich nicht mehr hinters Steuer. Ben fuhr also weiter, so dass ich in aller Ruhe vom Beifahrersitz aus die wunderbare Landschaft an mir vorbei ziehen lassen konnte.

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