Um aus dem Südosten Siziliens schnell wegzukommen, gibt es nur eine Richtung: nach Norden. Die Südküste zu erkunden, ist von Noto aus eine richtige Expedition. Deshalb gibt es für mich entlang der Mittelmeerküste noch viel Unbekanntes zu entdecken. Jetzt war es mal wieder an der Zeit, aufzubrechen, um die weißen Flecken auf meiner Sizilien-Landkarte bunt auszumalen. Mein Ziel: Agrigento. Vor genau 20 Jahren war ich zum ersten und einzigen Mal hier.
Mit Zwischenstopp im wunderbaren Vizzini und in Caltagirone führte mich die Route in ein Sizilien, das sich karg und wüst neben den Straßen ausbreitet. Lost places, Felsformationen, die irgendwann ein Riese wahllos in die Landschaften geworfen haben muss, und drohende Gewitterwolken über mir.
Abstecher nach Riesi. Die Stadt, die 2001 den Schriftsteller Ralph Giordano zu ihrem Ehrenbürger gemacht hat, weil dort dessen Großvater, der Dirigent Rocco Giordano geboren wurde. Noch 1961 muss die Armut in Riesi so groß gewesen sein, dass ein Diakoniezentrum eingerichtet wurde, um den Analphetismus unter Kindern zu bekämpfen. Ein bisschen was von dieser Vergangenheit wirkt heute noch nach.
Und dann Richtung Süden, nach Agrigento, in die Stadt der griechischen Tempel. Schon von oben, von der modernen Stadt aus, wirken sie eindrucksvoll. Aber die Antike muss warten. Das moderne Agrigento ist abends nach der langen Expedition einfach zu verlockend.
Wenn es mir langweilig ist und mir der Nervenkitzel fehlt, dann fahre ich in Sizilien nachts Auto. Tagsüber hab ich mich ja mittlerweile so assimiliert, dass ich eigentlich den Blinker ausbauen könnte, vielleicht für eine zweite Hupe. Quasi blind fließe ich an Verkehrsknotenpunkten in der chaotischen Autowelle mit und lasse mich schon lange nicht mehr von den Vespa-Schwärmen vor, hinter und neben mir verrückt machen. Ich schüttle sie einfach ab.
Aber nachts, das ist schon nochmal ein anderer Thrill! Erstmal muss man ja aus der Stadt rauskommen. Weil die, wie jede andere Stadt der Welt, die was zu bieten hat, viel zu wenig Platz übrig hat für die vielen Autos, parkt man eben in der dritten und vierten Reihe. Und die Menschen auf ihrer passeggiata müssen sich ja auch irgendwo fortbewegen. Gigantische Staus sind da doch nur natürlich.
Auf Strecken, für die man tagsüber vielleicht zehn Minuten einplanen muss, dauert es gegen 22 Uhr schon mal eine gute halbe Stunde. Ist das geschafft und der Wagen könnte endlich rollen, wird es aber erst richtig abenteuerlich: auf der Landstraße. Schon tausend Mal gefahren, wirkt die Piste plötzlich wie von einem anderen Stern. Und zwar von einem Planeten der Finsternis.
Im Stockdunkeln und nur von der schwachen Funzel eines Kleinwagens erhellt, tun sich plötzlich unbekannte Hindernisse auf: Bordsteine aus dem Nichts, die keinen tieferen Sinn ergeben, als in die Fahrbahn zu ragen. Verkehrsschilder, die vermutlich speziell für die nächtliche Belustigung von Autofahrern mitten auf die Straße gelegt wurden. Sich nur nachts öffnende Schlagloch-Krater. Von freilaufenden Hunden, die lebensmüde am Straßenrand darauf warten, überfahren zu werden, will ich hier gar nicht sprechen.
Mit 80 Sachen übers nächtliche Land zu rasen, ist da schon ziemlich verwegen. Aber selbstredend viel zu langsam, denn innerhalb kürzester Zeit klebt hinten auf der Heckscheibe ein anderes Auto, das mindestens eine Hochschwangere kurz vor der Niederkunft transportiert, sonst müsste der Fahrer ja nicht mit 150 km/h so drängeln.
Welch ein Glück, wenn einen so jemand dann in einer engen Kurve überholt, vom Aufblendlicht im Rückspiegel würde man sonst irgendwann blind werden.
Endlich auf der Autobahn, wird es kaum besser. Bloß nicht den Fehler machen, an einer Auffahrt höflich die Spur zu wechseln, um jemanden einfädeln zu lassen! So wird man nie wieder auf die rechte Spur kommen, denn der Mensch, dem man etwas Gutes tun wollte, drückt zum Dank erbarmungslos aufs Gaspedal.
Wer sein Leben liebt, sollte aber auf gar keinen Fall länger auf der Überholspur fahren, denn die ist besonders nachts ausschließlich professionellen Rennfahrern vorbehalten. Wer sich nicht daran hält, wird gnadenlos abgedrängt oder, noch schlimmer, rechts überholt. Egal wie kurz der Abstand zum davor schleichenden Tanklaster ist.
Wenn mein Adrenalinspeicher ausreichend gefüllt ist, bin ich bereit für die letzte Challenge: In Wohnungsnähe zu nachtschlafender Zeit wieder einen Parkplatz zu finden. Da nehme ich dann gerne auch den Zebrastreifen. Falls noch einer frei ist!
Sizilien, die Umwelt, das Klima, die sizilianische Landschaft. Das sind die Kräfte, die zugleich — und vielleicht mehr als alle Fremdherrschaften und Schändungen — unseren Geist gebildet haben: diese Landschaft, die keine Mitte kennt zwischen üppiger Weiche und vermaledeiter Wüste; die niemals eng ist, nie nur bescheidene Erde, ohne Spannung, wie ein Land sein müßte, das vernünftigen Wesen zum Aufenthalt dienen soll; dieses Land, das wenige Meilen voneinander entfernt die Hölle um Randazzo hat und die Schönheit der Bucht von Taormina.
G. Tomasi di Lampedusa, Il gattopardo
Ein riesiges Schlagloch bringt das Auto zum Stehen. Endstation auf dieser dystopischen Straße. Schilder hatten an der Abzweigung von der SS 194 in Richtung Gela vor etwas gewarnt, aber vor was?
Die SP 104 in der Provinz Catania führt scheinbar ins nirgendwo, der Wegweiser nach Lentini – einmal und dann nie wieder gesehen. Links ist ein Damm, dort muss auch eine Bahnlinie sein. Rechts öffnet sich eine Ebene, die Piana di Catania. Am Horizont ist im Dunst eine Hügelkette zu erahnen. Eine zerstörte Betonrinne läuft neben der Straße, vielleicht früher zur Bewässerung der Felder. Die zerstörte Piste gleicht einer Kraterlandschaft.
Gewitterstimmung liegt über dem Land. Kein Mensch weit und breit auf der Fläche, die 430 Quadratkilometer umfasst, kein Tier, kein Geräusch, nichts. Catania Flughafen Fontanarossa hat auch darin Platz gefunden. Der Dunst macht die Orientierung schwer. Manchmal noch bricht sich die Sonne durch die schwarze Wolkenfront. Der Ätna, sonst alles überragend, versteckt sich in dieser Suppe.
Zerfallene Häuser zeugen davon, dass in dieser Landschaft einmal Menschen gelebt haben müssen. Zwischen den Flüssen Simeto, Dittaino und Gornalunga. Deren Wasser hat die fruchtbare Erde angeschwemmt. Heute sind die Bauernhöfe so gut wie alle verlassen, vergehen, verschwinden.
Diese seelenlose Fläche ist eines der wichtigsten landwirtschaftlichen Anbaugebiete Siziliens. Orangen, Getreide, auch Oliven. Die vulkanische Aktivität in der direkten Nachbarschaft macht die Ödnis außerordentlich fruchtbar. Zu sehen ist von dieser Fülle nicht viel, nur abgeerntete Felder. Die nächsten Städte sind Catania, Lentini oder Francofonte.
Der Schlag, den das Auto abbekommen hat, hat einen Schwarm Vögel aufgescheucht. Sie scheinen die letzten Wächter der Piana di Catania zu sein.
… ist eines meiner Lieblingswörter im Deutschen. Umso schöner, dass es auch im Italienischen verwendet wird, um ländliche Regionen abseits der Metropolen oder touristischer Hotspots zu bezeichnen. In „Hinterland“ schwingt immer auch etwas Mystisches mit, etwas Unbekanntes, Unentdecktes, Unerschlossenes. Der Begriff stammt eigentlich aus dem frühen Völkerrecht, genauer: aus dem Kolonialrecht. Mit Hinterland war in diesen trüben Zeiten meist das unerschlossene Landesinnere hinter den zunächst eroberten oder angekauften Küstenstreifen gemeint.
Das soll trotz gegenwärtiger Bestrebungen, Sprache gerechter zu machen, meine Freude an dem Wort nicht trüben, das außer ins Italienische beispielsweise auch ins Englische, Spanische oder Portugiesische eingegangen ist. Wobei: Das lag sicherlich auch an der unheilvollen kolonialen Vergangenheit dieser einstigen Weltmächte…
Fahrten ins Hinterland machte ich bereits als Kind mit meinen Eltern. „Wir fahren ins Hinterland“ waren damals noch Ankündigungen meines Vaters, den nächsten Tag nicht gemütlich am Strand zu verbringen, sondern in irgendwelchen abgelegenen Ecken. Ich erinnere mich noch an eine elend lange Autofahrt nach San Marino. Oder an die nicht enden wollende Anfahrt nach Florenz. Wobei es sich dabei aus meiner heutigen Sicht ja nicht um klassische Hinterland-Gemeinden gehandelt hat.
Irgendwas von diesen Hinterland-Touren muss aber doch bei mir hängen geblieben sein, denn ich mache sie heute noch regelmäßig. Einfach losfahren, an einer Kreuzung irgendwo abbiegen, mal schauen, was dahinter liegt. Oft nicht viel. Aber genauso oft finde ich Augenöffner. Unerwartetes. Neues. Es ist ja nicht immer leicht, nach so vielen Jahren auf Sizilien noch Unbekanntes zu entdecken.
Meist brauche ich ewig für relativ kurze Strecken, weil ich ständig anhalte, aussteige, mir etwas genauer anschaue. Manchmal fahre ich auch nochmal zurück, weil mir etwas ins Auge gestochen ist, das mich dann nicht loslässt und ich es etwas genauer unter die Lupe nehmen will. Auf dem Rückweg kann ich das nicht machen, denn ich fahre nie die selbe Stecke noch einmal. Hinterland-Fahrten mache ich meistens alleine, für Mitfahrer wären sie vermutlich eine Zumutung.
Ich biege diesmal also rechts ab, von der SS 115 in Richtung Giarratana. Berühmt für seine gigantischen Zwiebeln. Die werden auch hier in Noto vom Laster runter verkauft. Wie weit es dorthin ist, weiß ich nicht genau, ich könnte nachschauen, lass es aber bleiben. Schließlich ist ja bei solchen Mini-Roadtrips der Weg das Ziel. Die Provinzstraße führt zunächst immer geradeaus in einem Tal der wellenartigen Monti Iblei. Links und rechts Felder, Zitrusfrüchte, ein bisschen Getreide, nichts Besonderes.
Im Hinterland.
Als erstes fällt mir eine kleine Kapelle auf, San Corrado gewidmet, dem Patron Notos. Warum sie dort steht, lässt sich ebensowenig beantworten wie ein paar Kilometer weiter, ob die Schule oder der Kindergarten noch in Betrieb ist, der einerseits etwas trostlos am Straßenrand steht und andererseits mit einer auffälligen Wandbemalung auf sich aufmerksam macht. Viele Kinder würden jedenfalls nicht hinein passen.
Kindergarten oder Schule? Bei Fahrten ins Hinterland bleiben viele Fragen unbeantwortet.
Langsam wird die Strecke kurviger, bergiger. Somit eröffnen sich hinter jeder Biegung neue Ausblicke. Allerdings bin sich seit meiner Begegnung mit dem Jungen ohne Namen im vergangenen Jahr etwas vorsichtiger geworden. Denn bei solchen Zusammentreffen ist man der Situation dann ausgeliefert. Ich verlasse die Provinz Siracusa. Über dem Land liegt wieder die monotone Melodie der Grillen, ansonsten ist es still. Kein Auto, kein Mensch. Ich kann also gefahrlos anhalten, um ein verfallenes Haus zu betrachten. Wie immer bleibe ich erst einen Moment im Wagen sitzen, um abzuschätzen, ob sich gleich ein Rudel wilder Hunde auf mich stürzen wird. Alles friedlich…
Säumen das Hinterland: verfallene und halb verfallene Immobilien.
Auch an den halb bis fast ganz verfallenen Häusern und Hütten hängen „Vende“-Schilder. Dabei frage ich mich, ob es die Besitzer überhaupt noch gibt. Und wer solche Immobilien kaufen soll. Auf den Homepages der Makler tauchen immer wieder solche Objekte auf und wer glaubt, so etwas gäbe es umsonst, der irrt.
Die Landschaft lädt zu einer kleinen Wanderung ein.
Die Landschaft ist hier in den Monti Iblei kleinteiliger als im Inselinneren. Die Felder sind mit Mauern unterteilt. Getreideanbau wechselt sich mit Zitrus- oder Olivenbäumen ab. Auch Viehwirtschaft gibt es. In der Hitze suchen die Kühe Schatten unter einem Baum. In den Geschäften hier kann man ihre Milch, die „Ragusana“ kaufen. Auf meiner Route öffnen sich sogar Wege, die zu einer kleinen Wanderung einladen. Allerdings nur zu einer klitzekleinen, denn wie gesagt, ich bin alleine unterwegs.
Oben in den Monti Iblei gibt es sogar kleine Waldgebiete.
So geht es immer weiter in die Berge hoch, mehrmals passiere ich die Provinzgrenzen, die hier im Hinterland scheinbar sehr verwoben sind. Die Straße wird löchriger, kurviger. Irgendwann komme ich sogar in ein Waldgebiet, also in ein sehr kleines. Ich muss mich schon ziemlich weit nach oben vorgearbeitet haben, denn auf Straßenschildern wird auf die Schneekettenpflicht im Winter hingewiesen. Außerdem sagt mir eine weitere Hinweistafel, dass ich mittlerweile nördlich von Ragusa sein muss. Nach Giarratana sind es noch zwölf Kilometer und es ist schon weit nach Mittag.
Giarratana, die Stadt der riesigen Zwiebeln.
Es erwartet mich eine Stadt im Siesta-Lockdown, kein Mensch auf der Straße, kein Laden geöffnet. Es fasziniert mich immer noch, wie eisern die Tradition der Mittagspause nach wie vor gepflegt wird. Trotzdem schaue ich mir Giarratana an. Wie nicht anders erwartet, gibt es gleich mehrere mächtige Barockkirchen. Eine ist sogar geöffnet, also werfe ich einen kurzen Blick hinein, habe aber gleichzeitig Angst, dass der Küster das Tor hinter mir verschließt. Also nichts wie wieder raus. Gegenüber ist das Rathaus und ich sehe einen Hinweis auf ein kleines Freilichtmuseum. Das hat aber auch geschlossen. Das heißt, das Museum ist in kleinen Häusern mitten in der Stadt eingerichtet und gezeigt wird dort offenbar, wie die Altvorderen gelebt haben. Weil manche Gebäude nur mit einem Gittertor versperrt sind, kann ich wenigstens einen kleinen Eindruck gewinnen. Ich merke mir das Museum auf jeden Fall fürs nächste Mal.
Barockkirchen, was sonst?
Hinter den Fensterläden höre ich Geschirr klappern und Menschen palavern gegen die TV-Shows an, die allerorten laufen und sich in den leeren Gassen akustisch duellieren. Es gibt einige malerische Winkel in dieser Provinzstadt, aber leider keine geöffnete Bar. Schlecht für mich. Die riesigen Zwiebeln habe ich auch nirgends gesehen. Aber ich habe mir ein weiteres Stück „meines“ sizilianischen Hinterlands erschlossen.
Sie standen da wie drei Wegelagerer. Oder wie Banditen, denn einer trug ein Maschinengewehr An einem Aussichtspunkt an der SS 188 zwischen Chiusa Scalfani und Giuliana, der uns einen Blick in die wunderschöne Landschaft in dieser Gegend möglich gemacht hätte. Möglicherweise hätten Ben und ich an dieser Stelle auch freiwillig angehalten. Wir waren auf einem Roadtrip durch Sizilien, ohne konkretes Ziel. Sich treiben lassen, unerwartete Abzweigungen nehmen, sowas. Von Corleone aus wollten wir an diesem Abend noch die sizilianische Südküste erreichen. Wenn nicht, auch nicht so schlimm.
Es waren aber drei Carbanieri, die uns also auf den Parkplatz mit der malerischen Aussicht lotsten. Sie waren wie gesagt zu dritt, einer von ihnen sicherte mit seinem Maschinengewehr im Anschlag die Straße, auf der uns seit mindestens einer halben Stunde niemand entgegen gekommen war und hinter uns war in dieser Zeit auch niemand. Wir waren für die Carabinieri also eine willkommene Abwechslung. Die einzige. Derjenige, der das Sagen hatte, wollte dann natürlich erst einmal das Übliche: Führerschein, Fahrzeugpapiere. Letzteres war kein Problem, die lagen im Handschuhfach des gemieteten Fiestas. Mein Führerschein, so war ich felsenfest überzeugt, wäre in meinem Rucksack im Kofferraum. Wie es immer so ist, Nervosität machte sich breit und zuerst glaubte ich, nur wegen meiner Aufregung den blöden Führerschein nicht zu finden. X-mal durchwühlte ich mein schmales Gepäck und konnte ihn nicht finden. Bis ich schließlich einräumen musste, ihn nicht dabei zu haben.
Nach diesem Eingeständnis waren die Carabinieri in ihrem Element. Da fing die Kontrolle erst richtig an. Demonstrativ nahmen zwei von ihnen den Wagen in Augenschein, den Kofferraum, umrundeten unser Auto mehrfach. Verlangten einen Ausweis, auch von Ben, meinem Beifahrer. Nahmen die Dokumente an sich, gingen zu ihrem dunkelblauen Fahrzeug, holten ein iPad raus und fingen an, sie auf ihre Echtheit zu überprüfen und zu checken, ob wir möglicherweise gesuchte Verbrecher oder Terroristen oder Illegale sein könnten. Der Dritte mit dem Maschinengewehr fixierte uns währenddessen aufmerksam, immer seine Waffe im Anschlag. Nur nicht nervös werden…
Die Überprüfung dauerte. Ziemlich lange. Endlos lange. Sämtliche Verfehlungen der letzten zehn Jahre gingen mir durch den Kopf, alle Schwierigkeiten, die ich in Sizilien nicht lösen konnte, weil mich die dafür zuständigen Behörden von Amtsstube zu Amtsstube geschickten hatten, wo ich immer nur die selbe Antwort bekam: „Non lo so! – ich weiß nicht!“ Irgendwann verabschiedete mich von meinem deutschen Wunsch, alles korrekt zu regeln. Insofern bin ich jetzt also doch in gewisser Weise eine illegale Einwanderin.
Dort oben auf dem malerischen Aussichtspunkt war ich mir sicher, dass das jetzt alles raus kommen würde, weil wir ja bei keinem Beherbergungsbetrieb offiziell gemeldet waren. Möglicherweise könnten wir uns mit dem Meldezettel aus der Pension in Palermo, die wir am Morgen verlassen hatten, irgendwie retten und mit dem Hinweis, dass wir und für den Abend erst etwas suchen müssten. Das legte ich mir als Ausrede zurecht, wenn ich gefragt werden sollte, wo dieses Ferienhaus denn sei, in dem ich meinen Führerschein vergessen hatte. Immer mehr Ausflüchte dachte ich mir aus, während ich versuchte, mit den Carabinieri Small Talk zu machen. Versuchte, ein bisschen Charme spielen zu lassen. Der Typ mit der Waffe reagierte darauf natürlich nicht. Er versuchte sich in einem undurchdringlichen Blick. Der andere fuchtelte im Polizeiauto und davor mit seinem iPad rum, auf der Suche nach Empfang, während der Wortführer durchaus einem kleinen Plausch mit mir nicht abgeneigt war.
Er wollte wissen, ob ich Italienerin sei. Zuerst dachte ich, der wolle mich verarschen, fragte ihn, wie er auf diese abseitige Idee käme. Na ja, meine Vornamen im Ausweis, antwortete er: Martina Angela, da gebe es ja sicher einen italienischen Papa oder eine sizilianische Mama. Nun, nein, nicht. Aber meine rätselhafte Verbundenheit mit dieser Insel, mit diesem Land scheinen mir meine Eltern wohl schon mit meinen Namen in die Wiege gelegt zu haben.
Als ich ihn fragte, ob es Probleme mit unseren Papieren gebe, meinte er nur, nein, soweit erstmal nicht, er wisse es aber nicht, denn die Übermittlung an irgendeinen Interpol- oder wer-weiß-welchen-Server dauere. Das Internet hier in der Gegend sei einfach nur „lentissimo“. Aber wir könnten ja die Zeit nutzen, um die wunderbare Gegend zu genießen (mit Maschinengewehr im Rücken).
Gefühlte Stunden später bekamen die sizilianischen Ordnungshüter dann ihre Auskunft: Sie hatten es bei uns nicht mit gesuchten Straftätern zu tun. Oder sie gaben vor, ihre Auskunft bekommen zu haben, denn das Internet war hier gar nicht vorhanden, es gab hier oben überhaupt kein Netz, wie mir ein verstohlener Blick auf mein Handy bewies. Wir durften also weiter. Allerdings, so die Bedingung, durfte ich nicht mehr hinters Steuer. Ben fuhr also weiter, so dass ich in aller Ruhe vom Beifahrersitz aus die wunderbare Landschaft an mir vorbei ziehen lassen konnte.