Sonntag Abend, beste Zeit für eine Passegiata. Bei einem Aperitif dem Treiben auf dem Corso zuschauen. Die sizilianischen Pärchen, Paare und Familien beobachten, die sich nur für diesen Zweck schick gemacht haben: sehen und gesehen werden. Also rein ins Gewimmel.

Die Stadt ist voll, für Anfang Juni sogar ziemlich voll. Kann am Markt liegen, der sich vor der Porta Reale unter den Bäumen des Corso Vittorio Emanuele ausbreitet. Hier gibt es Kitsch, Alltagskram, Wunderwaffen gegen Schmutz und auch ein paar Antiquitäten.

Ich höre mir an, was ein Verkäufer, der eher einem Börsenmakler gleicht als einem fliegenden Händler, an seinem Ferrari roten Stand verheißt: natürlich, den Turbo unter den Wischmobs, gnadenlos gegen Dreck. Klimaschonend, weil angetrieben durch Muskelkraft. Seine Ware geht weg wie warme Semmeln.

An der Porta Reale hat der Kiosk wieder geöffnet. Jetzt gibt es hier drinks, coffee, wine, food. Wo bisher in Neonschrift Caffè Porta Reale stand, prangt jetzt Candiano. Scheint ein Place to be geworden zu sein, zumindest wird hier tüchtig was gefeiert. Neugierige gibt es genug, die die schick gewandete Großfamilie bestaunen. Warum eine junge Frau vor einer unversehrten Torte steht, erschließt sich mir allerdings nicht. Das Fest scheint doch vorbei…


So richtig lange war ich diesmal nicht weg, aber dort, wo ich im März noch einen Sprizz getrunken habe, sind jetzt die Fenster der Bar mit alten Zeitungen abgeklebt. Chiuso per sempre. Dafür zähle ich auf dem Weg zur Kathedrale mindestens drei neue Restaurants. Trotz der vielen Menschen in der Stadt bleiben in den meisten aber die Kellner unter sich. Vermutlich war die Hoffnung, besser als alle anderen zu sein, die Triebfeder der Geschäftseröffnung. Oder der Wunsch, auch ein Stück vom Tourismus-Kuchen abzukriegen.
Viele der Läden haben englische Namen. Da werde ich plötzlich ein bisschen sentimental.
Gerade mal 14 Jahre sind seit meinem ersten Besuch in Noto vergangen. Ich erinnere mich an eine Stadt, die auch im August ein bisschen verschlafen wirkte, obwohl auch damals schon viele Menschen da waren. Die Restaurants hießen Ristorante, Pizzeria, Trattoria und die Speisekarten waren ausschließlich in Italienisch und alles schmeckte wunderbar. Selbst das Sternelokal Crocifisso war damals noch eine Gaststätte mit dem speziellen Sizilien-Flair: ungemütliche Energiesparlampen und auf jeden Fall nicht Insta-tauglich. Logisch, Instagram war damals noch gar nicht erfunden. Das Essen war aber trotzdem einfach umwerfend.
Heute hingegen heißt in Noto sogar manche Bäckerei, ein panificio, La Boutique del Pane!

Der Wandel war ein schleichender Prozess: Mit jedem restaurierten Palazzo kam etwas mehr vom Glanz dieser Stadt zurück. Das blieb natürlich nicht unbemerkt. Die Schönheit Notos lockte irgendwann Promis an und natürlich auch die Influencer. Heute ist Noto ein IT-Place, ein Place to be. Madonna hat hier vergangenes Jahr ihren Geburtstag gefeiert. Mehr Werbung geht eigentlich nicht. Und plötzlich fragen mich auch Freunde und Bekannte in Deutschland nach Noto und ob sie nicht mal…
Wie ich diesen Hype finde? Ungerecht. Denn für die Menschen, die hier ein ganz normales sizilianisches Leben führen müssen, bringt dieser Wandel wenig bis gar nichts. Eher im Gegenteil. Die Preise in den Bars explodieren. Vorbei sind die Zeiten, als ein Caffè hier 70 Cent gekostet hat. Und das liegt sicher nicht nur an der allgemeinen Inflation. Die Preise für Immobilien explodieren. Für junge Familien wird so ein eigenes Heim noch unerschwinglicher. Vertickt werden die Häuser von Immobilienhändlern, die auch Niederlassungen in Milano und New York City haben (behaupten sie jedenfalls).

Auch die Arbeitsmarktsituation wird nicht besser. Was hat mir Adriana, die Tochter meiner Nachbarin Rosetta, erst neulich erzählt? Qualifizierte Jobs gibt es in Noto für die Jungen keine. Höchstens im Dienstleistungsbereich, als Aushilfen, im Sommer, in der Hochsaison. Im Winter gibt es nichts zu tun. Also müssen viele wegziehen, in den Norden. Da helfen auch die vielen schönen Bilder der schönen Stadt auf Instagram nichts.
Noto ist im Wandel, wird gentrifiziert, auch aus der schäbigsten Hütte wird ein schickes Ferienhaus. Und trotzdem bewahrheitet sich auch in diesem Fieber: In Sizilien ändert sich nichts. Zumindest für die meisten Menschen nicht.