Harte Landung

Irgendwann kommt jedesmal der Break: fine Sicilia. Bei der Bewältigung hilft mir eine Rückreise im Flugzeug ungemein. Denn das Chaos auf dem im August viel zu kleinen Aeroporto di Catania erweckt bei mir vor allem einen Wunsch: Möglichst schnell weg von hier!

So schlimm und so voll wie am Ende des Ferienmonats ist es dort sonst das ganze Jahr über nicht. Alle Welt scheint insieme am vorletzten Tag im August die Insel verlassen zu müssen oder zu wollen: Heimatbesucher, die irgendwo nel Nord oder im Ausland leben, arbeiten oder studieren ebenso wie die Touristen aus aller Welt.

Opernreife Abschiedsszenen spielen sich inmitten des Gewusels ab. Und wenn die Familien von den Sicherheitsvorschriften im Flugverkehr unsensibel auseinander gerissen worden sind, werden die telefonini gezückt, um Gott und die Welt fernmündlich episch darüber zu informieren, dass man gerade am Flughafen in Catania in einer ziemlich langen Schlange sei.

Das Flughafengebäude kann die Menschen vor der Sicherheitsschleuse kaum aufnehmen. Gefühlt wird es den halben Tag dauern, um in die Abflughalle vorzurücken. In der Praxis kriecht die Schlange dann doch schneller als gedacht, auch wenn sich immer wieder Vordrängler einen Platz weiter vorne in der Reihe ergaunern.

Ist die Sicherheitsschleuse genommen, heißt es anschließend, sich in der Wartehalle die Beine in den Bauch zu stehen: In der fila für den letzten caffè, das letzte arancino und die cannoli für die Lieben in Deutschland. So sizilianisiert bin ich mittlerweile, dass ich jedes Mal eine Box mitbringe.

Das pranzo-cena muss ungemütlich im Stehen eingenommen werden, denn Sitzplätze vor den Gates gibt es nur für einen Bruchteil der Passagiere. Und viele davon sind mit Gepäckstücken belegt. Kinder schreien, Eltern schimpfen, Hunde bellen und die Klimaanlage packt die tausenden von Menschen nicht.

Ein Segen also, wenn die letzte Stunde in Sicilia schnell vergeht. Sonst würde ich den Absprung von der Insel vermutlich gar nicht schaffen.

Il pranzo è servito!

Ich bin ja eine Selfmade-Frau, was meine italienischen Sprachkenntnisse anbelangt. Richtigen Unterricht hatte ich nie. Brauchte ich auch nicht. Zumindest was meinen Wortschatz in allen Essensdingen betrifft. Wie ich das gemacht habe? Ich habe einfach jahrelang am Strand meinen Schirmnachbarn (unfreiwillig) zugehört.

Eines der Hauptthemen ist dort nämlich das Essen. Vormittags wird zum Auftakt unter dem Sonnenschirm erst einmal schwelgend und lautstark das cena, das Abendessen, seziert. Ob man zu Hause oder im ristorante war. Falls ja, in welchem. Ob es was taugt. Wer der Koch ist. Was man gegessen hat, Fisch oder Fleisch, welchen Fisch, welches Fleisch, ob die Qualität gepasst hat, wo man eingekauft hat, wer das beste Fleisch, Obst, dolce hat. Da kommen im Lauf der Zeit viele Vokabeln zusammen und die stete Wiederholung ist beim Spracherwerb bekanntermaßen das A und O.

Wenn dieses Thema schließlich im Lauf des Vormittags abgefrühstückt ist, werden die bambini unruhig. Die Wasserspiele machen hungrig und es sind ja noch lange zwei Stunden bis zum pranzo, dem Mittagessen.

Ausschweifend zählen die Mamas oder Omas den Kleinen auf, was sie alles eingepackt haben. Pizette, Panini con prosciutto, pesche e pere, patatine, aber die werden aus der Bar geholt. Genauso wie das gelato, die granità oder der caffè in Mini-Pappbechern.

Geduldig wird der mitgebrachte Proviant für den kleinen Hunger zwischendurch ausgepackt, ausgewickelt, oft von den Sprösslingen quengelig abgelehnt und dann wieder sorgfältig weggeräumt. Ist aber auch gar nicht so schlimm, denn mittlerweile ist es Zeit für die verdiente Mittagspause vom Nichtstun. Nicht nur die gut gefüllten Kühlboxen werden wieder heimgeschleppt, sondern auch alle Stühle, Liegen, Handtücher und aufblasbaren Wassertiere. Nur der eingeklappte Schirm bleibt manchmal als Platzhalter für später einsam im Sand zurück.

Daheim heißt es dann: Il pranzo è servito! Mitserviert wird gleich das Thema für den späteren Nachmittag, für die zweite Schicht am Strand, und für mich eine weitere kulinarische Italienischstunde.

Tage des Donners

Irgendwann hatte ich nur noch Angst, dass die Scheiben bersten. Hagelkörner schossen vom Dach gegenüber wie Pistolenkugeln gegen die Fenster. Dazu Donner wie Bombeneinschläge und Blitze direkt über dem Haus. Ich bin mittlerweile hartgesotten, was Gewitter in Sizilien anbelangt. Aber das jüngste in dieser Reihe ließ mich erschaudern.

Dieser August war wettermäßig nicht mal bescheiden, er war brutal. Tempo è brutto, mehr sagen sie hier nicht dazu. Es hat fast jeden Tag geregnet, die Luftfeuchtigkeit war so hoch wie in den Tropen und phasenweise hatte es über 40 Grad. Der Mensch hält das kaum noch aus.

La Sicilia e terra di frontiera per il cambiamento climatico – Sizilien ist beim Klimawandel an vorderster Front. Klingt nicht gut, was Wissenschaftler da sagen. Stürme und vor allem Überschwemmungen setzen der Insel zu. Stürme, die einem Hurrikan so ähnlich sind, dass sie Medicane genannt werden.

Irgendwohin zu fahren wird in diesem Klima zur reinen Risikoabwägung. Jederzeit kann eine Sintflut über einen hereinbrechen und aus einer schnöden Fahrt ins Hinterland ein Kampf gegen die Naturgewalten werden. Das überhitzte Meer schickt so viel Wasser in die Atmosphäre, das dann aus den Wolken niederbricht.

Der Hagelsturm hat mich nun in eine neue Dimension des sizilianischen Unwetters geführt. Wäre das Gewitter nachts niedergegangen, ich wäre vor Angst erstarrt. Tagsüber merkt man wenigstens, dass man nicht allein ist mit seiner Panik, auch die Kinder der Nachbarn weinen ob des infernalischen Lärms, den der Himmel schickt. Die Urgroßmutter schickt als Antwort ein paar Gebete zurück.

Im Schattenreich

Andiamo al mare? Si, certo! Non vedo l‘ora! Also, Handtücher, Liege, Stuhl und natürlich Sonnenschirm eingepackt und los gehts. Außerdem mit im Gepäck ist immer eine Plastiktüte, eine Schnur und eine kleine Schaufel. Aber dazu später.

Die Stadt ist ausgestorben, heißt: vermutlich ist tutto il mondo am Strand. Macht nichts, bin soweit akklimatisiert, dass es mir nichts mehr ausmacht, mich in irgendeine Mini-Lücke zwischen den Großfamilien zu quetschen.

Nur eine Sache macht mir Sorgen: il vento. Denn in dem Fall braucht es beim Platzieren des ombrellone besonderes Fachwissen. Sonst ist der Sonnenschutz binnen Minuten weggeflogen. Und der Ärger der Strandnachbarn gewiss, den sie dann wort- und gestenreich kundtun.

Am elegantesten sieht es natürlich aus, wenn der Schirmständer mit einigen lässigen Drehbewegungen in den Sand geschraubt wird. Aber für diese Technik braucht man eine Schulung, die im Säuglingsalter beginnt. Habe ich nicht. Halbherzige Versuche würden in einem Desaster enden, der Schirm würde sich in Windeseile selbstständig machen.

Kein Schirm ist ebenfalls keine Option. Schließlich muss die Kühltasche im Schatten stehen.

Zum Glück macht Not erfinderisch. Ich habe mir vor vielen Jahren eine kleine Schaufel gekauft, mit der ich lässig ein ausreichend tiefes Loch grabe, in das ich den Metallstab versenke. Den Sand noch gut festtreten, der ombrellone hält danach wie eine Eins. Selbst bei Wind.

Wenn’s mal tüchtig bläst, reicht das aber nicht. Deshalb habe ich mir allerlei Techniken bei den Siciliani abgeschaut. Mein Lieblingstrick: eine Plastiktüte mit Sand füllen und dann die daran befestigte Schnur in den Schirm spannen. Gibt eine extra Portion Halt und funktioniert auch bei einer steifen Brise. Mit einer gefüllten Zwei-Liter-Flasche ginge es vermutlich auch, habe ich in der Praxis aber noch nicht gesehen.

Es gibt in Fachgeschäften außerdem allerlei Gerätschaften für die Stabilisierung eines Sonnenschirms, die ähnlich wie Zeltheringe funktionieren oder ein Schraubgewinde haben. Sind aber meiner Meinung nach nicht nötig.

Möglicherweise besorge ich mir demnächst noch ein Fernglas. Für die Strandausflüge, an denen das Meer nur von weitem durch eine riesige felsenfest stehende Schirmstadt zu sehen ist. Für die azurblauen Momente sorgt an solchen Tagen nämlich hauptsächlich der wolkenlose Himmel, der sich über dem kunterbunten Schattenreich zeigt, wenn man mal an seinem felsenfest stehenden Sonnenschirm vorbei nach oben schaut.

Sternschnuppen

Nirgendwo ist die Sternschnuppenwahrscheinlichkeit höher als am Himmel über Noto. Keine Ahnung, woran das liegt, an Perseidenschwärmen, es gibt sicher einen wissenschaftlichen Grund. Aber vielleicht beruht das Phänomen auch nur auf meiner Einbildung.

Ob das Schicksal eines Menschen tatsächlich bereits in den Sternen geschrieben ist, weiß ich nicht. So recht daran glauben will ich nicht. Aber nach dem irdischen Tagwerk abends auf der Dachterrasse zu sitzen und in die unendlichen Weiten des Sternenhimmels zu blicken, ist immer wieder aufs Neue atemberaubend. Phantasieanregend. Ein Anlass, Pläne zu schmieden oder sich auf zu neuen Ufern zu machen. Zum Beispiel, mit dem Wohnmobil nach Portugal zu fahren. Zumindest die Möglichkeit in Betracht zu ziehen.

Man muss im Sommer meist gar nicht lange warten, bis tatsächlich eine Sternschnuppe über der Kuppel der chiesa Crocifisso verglüht. Sozusagen genau im richtigen Augenblick als Wunscherfüller vom Himmel geschickt wird. Es ist jedes Mal ein beglückender Moment, wenn sich eine Sternschnuppe mit dem eigenen Wunschdenken kreuzt. So alt kann man gar nicht werden, als dass man in diesem Augenblick nicht fest wie ein kleines Kind an die Zauberkraft dieser Staubkörnchen aus den Weiten des Universums glaubt.

Abends am Strand

Über die Insel spannt sich tagsüber wieder ein Hitzeschild. Die Sonne ist brutal. Nach vielen Sommern in Sizilien verstehe ich, warum die Menschen nachmittags lieber in ihren abgedunkelten Häusern bleiben.

Ich habe mich mittlerweile angepasst. Stehe früh auf, um die Dinge zu erledigen, die getan werden müssen, halte Siesta und wenn die Sonne langsam sinkt, packe ich meine sieben Sachen und fahre ans Meer.

Wenn mir ein autocorso entgegenkommt, weiß ich, dass ich den richtigen Zeitpunkt erwischt habe. Ich werde auf jeden Fall schnell einen Parkplatz finden, will ja keine Zeit verlieren.

Die bagnini räumen bereits ihre Rettungsringe weg. Überall am Strand wird jetzt fleißig zusammengepackt. Die Lücken zwischen den immer noch aufgespannten Sonnenschirmen werden größer.

Perez und Corrado, die einen weiteren Tag ihre Granità verkauft haben, steuern ihre Ape Richtung Heimatgaragen. In den Strandbars decken sie die Tische fürs Abendessen.

Die untergehende Sonne taucht alles in ein mildes Licht. Wenn sie fast ganz verschwunden ist, legen sich Pastellfarben auf den Sand, die Wolken und das Wasser.

Es ist immer noch warm, selbst am Wasser. Im Meer lässt sich herrlich die aufgestaute Hitze des Tages abspülen. Zusehen, wie es dunkel wird. Wie am Horizont aus Himmel und Wasser eins wird. Eine Ahnung von Unendlichkeit. Der Tag geht hier recht schnell, mit einer Abenddämmerung zögert er seinen Abschied nicht unnötig hinaus. Im Gegensatz zu mir.

Piove

E piove, Madonna come piove
Sulla tua testa e l’aria si rinfresca
E pioverà fin quando la terra non sarà di nuovo piena
E poi si rasserena.

Jovanotti – Piove

Es regnet und das in einer der Hauptferienwochen in Italien. Richtig schöner warmer Sommerregen, nicht die Sintfluten, die hier oft nach einem Gewitter runterkommen.

Die Tropfen prasseln, die Regenrinnen rauschen. Ungewohnter Sound im Sommer. Normalerweise klappern dann nur die Fensterläden im Wind.

Am Morgen danach ist es fast ein bisschen zu kühl. Eine Idee von Herbst macht sich breit.

Wie reingewaschen ist die Luft. Wenn später die Sonne höher steht, wird sich das schnell wieder ändern. Am Horizont türmen sich aber bereits die nächsten dicken Wolken.

Die Kaktusfeige, die seit vielen Jahren tapfer in der alten Zisterne auf dem Dach ausharrt, sieht heute früh bereits etwas weniger erschöpft aus.

Den Song zu all dem hat Jovanotti…

Dolce far niente

Sonntage sind die Diven zwischen all den Werktagen. Sie beanspruchen für sich eine besondere Rolle in der Dramaturgie der Wochen. Das wurde ihnen bereits im Alten Testament zugesichert und darauf berufen sie sich bis heute. Sonntage sind sozusagen qua Gesetz eine Aufforderung an die Menschen, nichts zu tun, ohne sich dabei zu langweilen. Also der perfekte Tag für dolce far niente.

In Italien hat diese Lebenskunst eine lange Tradition, wie so vieles hier. Es heißt, Plinius der Jüngere habe als erster über das glückselig machende rein gar nichts Tun geschrieben: Olim non librum in manus, non stilum sumpsi; olim nescio quid sit otium, quid quies, quid denique illud iners quidem, iucundum tamen nihil agere,nihil esse. Er sagt unter anderem so in etwa, dass es ein Segen sei, nichts zu tun und nichts zu sein. Und auch Cicero hatte zu dolce far niente eine explizite Meinung: Nil agere delectat, also in etwa, dass es angenehm sei, nichts zu tun.

Nichts zu tun genießt allerdings unter modernen Zeitgenossen nicht mehr den allerbesten Ruf. Langweilig! heißt es dann schnell. Auch an einem Sonntag in Sizilien ist das nicht viel anders, wenn die Bewohner ganzer Straßenzüge beschließen, ihr dolce far niente auf die spiaggia zu verlegen. Und weil sie dort besonders im August mit unzähligen Touristen konkurrieren müssen, die ebenfalls wild entschlossen sind, einen ganzen Sonntag lang nichts zu tun, werden die Autos bereits am frühen Morgen vollgepackt, um ja den besten Platz an der Sonne zu ergattern. Von Sonntagsruhe ist in dieser aufgeregten Aufbruchstimmung nicht viel zu spüren.

Hat der Autocorso aber erst einmal die Stadt hinter sich gelassen, kehrt ringsum köstliche Stille ein. Kein Palaver mehr, kein surrendes telefonino, keine TV-Shows, die aus den Häusern plärren, kein klapperndes Geschirr und keine knatternde Vespa weit und breit. Selbst die ausdauernd bellenden Hunde halten still und die nimmermüden Tauben dösen sich im schmalen Schatten der flachen Dächer durch den Tag.

Nur ein paar Wölkchen am Himmel sind noch in Bewegung. Beste Voraussetzungen also, sich einen Sonntag lang an Plinius und Cicero zu orientieren…

Heat

6 Uhr. Die Sonne ist gerade aufgegangen. Noch schieben sich ein paar Wolken, die von der Nacht übrig geblieben sind, vor sie. Aber nicht lange, sie lösen sich schnell auf. Ich sitze auf der Dachterrasse. Auch in der Nachbarschaft gehen die Jalousien hoch. In Sizilien steht man früh auf und bleibt lange wach. Es wird heiß heute. Deshalb noch mal in aller Ruhe durchatmen und Kaffee trinken.

6 Uhr, die Sonne ist gerade aufgegangen. Es wird heiß heute.

8 Uhr. Ich muss zum Bäcker, samstags ist dort schnell alles ausverkauft. Die Sonne brennt direkt in die Straße, es gibt zu dieser Tageszeit kaum Schatten in der Via Tamagnino. Schnell läuft mir der Schweiß ins Gesicht. Vor „Il Forno“ hat sich bereits eine Schlange gebildet. Das warten im klimatisierten Verkaufsraum geht in diesen Zeiten nicht. Mit Mundschutz stehe ich mit den anderen Kunden in der prallen Sonne. Wenigstens fängt die Mund-Nasen-Bedeckung auch den Schweiß auf. Trotz der frühen Uhrzeit ist die Auswahl bereits eingeschränkt. Dann will ich auch noch zum Metzger, der auch einen kleinen Lebensmittelmarkt integriert hat, Wasser kaufen. Aber davor ist die Schlange noch länger, auch wenn ich hier im Schatten warten könnte. Ich verschiebe das.

9 Uhr. Eiskalt zu duschen habe ich mir abgewöhnt, man schwitzt hinterher noch mehr. Das gleiche, wenn man Wasser aus dem Kühlschrank trinkt. Am besten, es ist körperwarm, das zu taxieren ist bei diesen Temperaturen kein Problem, wenn man es einfach auf dem Küchentisch stehen lässt. Um Wasser zu sparen, ich habe im Augenblick nur noch eine angebrochene 1,5-Liter-Flasche, mache ich mir nochmal einen Kaffee und frühstücke.

10 Uhr. Die Waschmaschine ist durch, ich hänge die nassen Teile auf die Leine. Als das letzte Stück fixiert ist, ist das erste bereits wieder trocken. Unterdessen hat jemand im Himmel den Heißluftfön angemacht. Also Fenster und Läden schließen, sonst ist es später im Haus wie im Backofen.

11 Uhr. Ich mache erstmal eine Pause. Nur nicht an die Hitze denken. Letzte Woche hatte ich noch gedacht, dass dieser Juli eine herbstliche Anmutung habe. Es gab tagelang Gewitter, es hat viel geregnet, in Palermo und bei Catania gab es sogar üble Überschwemmungen. Dazu lagen die Temperaturen „nur“ bei 30 Grad. Die Strände waren leer und man hatte sich im Sand nicht die Füße versengt. Mit sowas rechnet hier im Juli keiner. In den Zeitungen hatten sie geschrieben, dass das der Klimawandel sei und dass der Mittelmeerraum davon stärker als andere Regionen betroffen sei. Das glaube ich auch, denn das, was ich in den vergangenen Jahren hier bereits an Wetterphänomenen erlebt habe, ist beängstigend.

12 Uhr. Irgendwer röstet im Vico auf dem Holzkohlegrill Paprika. Das riecht lecker, aber allein die Vorstellung, jetzt vor glühenden Kohlen zu stehen, verursacht mir einen Schweißausbruch.

13 Uhr. Ich hole beim Metzger Wassernachschub. Esse was vom gestern übrig gebliebenen Abendessen. Kein Kaffee. Vielleicht doch an den Strand, obwohl ich kaum Hoffnung habe, dass dort Platz ist. Die Abwägung, ob ich es wagen soll oder nicht, dauert eine halbe Stunde. Weil ich auf den Kaffee verzichtet habe, werde ich müde. Nur mal kurz die Augen zumachen…

16 Uhr. Die Sonne scheint jetzt durch die Ritzen der Fensterläden. Im Zimmer ist es unerträglich heiß. Meine Wetter-App sagt 36 Grad im Schatten. Der italienische Wetterdienst warnt vor der extrem hohen Temperatur. Draußen ist es totenstill, bloß nicht bewegen. Es geht hier auf der Insel aber noch heißer: Temperaturen knapp unter 48 oder – je nach Quelle – sogar fast 49 Grad wurden in Sizilien schon gemessen. Nur im Death Valley/USA zeigte das Quecksilber einen noch höheren Wert an: über 56 Grad. Bei Hitze wird körperliche Arbeit – und weniger präzise messbar auch die geistige – schwieriger, auch weil die Thermoregulation selbst Energie verbraucht, habe ich irgendwo gelesen. Das erklärt mir meine momentane Zurückhaltung bei irgendwelchen Aktivitäten.

17 Uhr. Die Zeit scheint an diesem Nachmittag still zu stehen. Nach Ansicht der Denker in den antiken Metropolen Athen und Rom, an zwei eher warmen Orten also, war große Hitze ebenso zu vermeiden wie strenge Kälte. Das rechte Maß war Trumpf, spätestens seit Aristoteles – von dem die These stammt, die Griechen lägen genau zwischen den Barbaren des kalten Nordens und denen des heißen Südens. Den Wechsel der Jahreszeiten und damit der Temperaturen feiert der Arzt Hippokrates: Dass die Asiaten als verweichlicht und feige gälten, liege außer an der dort herrschenden Despotie daran, dass dort immer das gleiche Wetter herrsche. So lässt sich Kulturchauvinismus also auch mit dem Klima begründen.

18 Uhr. Also jetzt aber ans Meer.

Ganz schön voll…

Oder lieber doch wieder umkehren. Zu viele Menschen. Geht grad gar nicht. Dann lieber ein bisschen durch die Stadt bummeln.

19 Uhr. Die Sonne sinkt. Um kurz nach 20 Uhr ist sie hier bereits untergegangen. Die Dämmerung ist kurz. Wenn es dunkel ist, verlagert sich das Leben auf die Straße. Bis spät in die Nacht. Beim Schlendern über den Corso strahlen die mächtigen Gebäude noch die Hitze des Tages ab. Jetzt ein Eis!

Die Gebäude strahlen abends in der Dämmerung auf dem Corso noch die Hitze des Tages ab.