Die Hitze stülpt sich wie eine milchige Glocke über die Stoppelfelder. Der Weizen ist jetzt im Juli längst geerntet. Auf der fruchtbaren Erde breitet sich eine endlose Decke aus, scheinbar gewebt aus golden, braunen, gelben, manchmal schwarzen Fäden und dazwischen bestickt mit grünen Punkten. Das karge Inselinnere Siziliens entfaltet seine brutale Schönheit nie eindrucksvoller als in solchen Hochsommerwochen.

Eine holprige Straße schlängelt sich durch dieses ausgedörrte Bergland. Grillengezirpe weht mit dem heißen Wind ins Auto. Die monotone Melodie lullt mich ein, macht mich schläfrig. Also eine kurze Siesta unter Olivenbäumen, ein bisschen Brot und Käse, kühles Wasser, bevor es weiter hinauf geht, bis auf über 1100 Meter, bis nach Troina. In der Hitze schweifen meine Gedanken zusammen mit meinem Blick ab. Meine Augen suchen in dieser goldgelben Stoppelwüste Halt, Bewegungen. Nichts und niemand, so scheint es mir, könnte in dieser Weite unbemerkt vorankommen. Aber sogar die nach Wasser und Schatten lechzenden Kühe verharren an Ort und Stelle.

Doch dann sehe ich aus der Hitzeglocke verschwommen in einer endlosen Reihe Soldaten auftauchen, die unter der erbarmungslosen Sonne im Gänsemarsch hinauf nach Troina marschieren. Dann, schon deutlicher, erkenne ich, dass sie mitten im Nirgendwo auf einen Bauern treffen, der ihnen mit seinem Stock die Richtung weist, in die die Deutschen sich – endlich – davon gemacht haben. Auf einem Feldvorsprung halten die Soldaten Ausschau nach feindlicher Bewegung, ein Panzer trifft auf einen Mann mit Esel. Und dann erreiche ich nach einem endlos scheinenden Marsch mit den Soldaten Troina. Am Ortseingang kommt ihnen mit hoch erhobenen Händen ein Mann entgegen. „Tut mir nichts“, meine ich ihn flehen zu hören. In den engen Gassen des mittelalterlichen Zentrums treffen die Soldaten auf traumatisierte Einheimische, Alte jammern, Frauen kreischen, Kinder weinen. Ich sehe, wie die Amerikaner vor der Kulisse des Doms italienische Kriegsgefangene abführen, ich bin in einer Stadt in Trümmern.
Ich muss wohl von Robert Capa’s Fotos geträumt haben, die ich vor zwei Jahren in Palermo gesehen habe. Der ikonische Kriegsfotograf und Magnum-Mitbegründer hatte 1943 einige Tage nach dem Beginn der Operation Husky amerikanische Truppen von Agrigento ins bergige Landesinnere nach Troina und schließlich Palermo begleitet. Die dabei entstandenen Bilder sind heute der ganze Stolz Troinas, 60 unveröffentlichte hat die Kommune angekauft, sie sind in der Stadt hoch oben auf dem Bergkamm allgegenwärtig.

Heute fühlt sich Troina dem Frieden verpflichtet, nicht nur im Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkrieges. Auch eine deutliche Distanzierung gegenüber der Mafia ist über dem Eingangsportal des Rathauses angeschlagen. Tritt man aus dem Municipio hinaus, nimmt der Ätna den Blick gefangen. An seine südliche Flanke schmiegt sich Catania, dahinter funkelt das Meer. Die Piazza wirkt wie ein Balkon, sie wurde wohl erst vor kurzem umgestaltet, ist noch nicht ganz fertig, und bietet einen überwältigenden Panoramablick auf den nimmermüden Vulkan. In diesem Ausnahmejahr habe ich diesen grandiosen Logenplatz ganz für mich alleine.
Diese Lage muss es gewesen sein, die der Stadt im 11. Jahrhundert als wichtige Militärbasis bei der normannischen Eroberung eine bedeutende Rolle zugewiesen hatte. Graf Roger ließ in Troina einen Dom errichten. Das Gotteshaus wurde seither mehrfach umgebaut, doch an seinem Turm lässt sich noch immer seine normannische Vergangenheit ablesen. Diese Lage muss es aber wohl auch gewesen sein, die Troina im Zweiten Weltkrieg im Verlauf der Operation Husky zum Dreh- und Angelpunkt der von den Italienern und Deutschen befestigten „Ätna-Linie“ werden ließ. Die schweren Kämpfe um die Stadt und deren Bombardierung durch die Amerikaner forderten Hunderte von zivilen und militärischen Opfern, konnten jedoch das Vordringen US-amerikanischer Truppen in Richtung auf Messina nicht verhindern.
