Wie alle Mädchen esse ich gerne von bunten Tellerchen, trinke am liebsten aus verzierten Becherchen und würde gerne abends nach getaner Arbeit an einer opulenten Tafel aus kunstvoll bemalter Keramik dinieren. Die multichromatischen Geschirrteile sind nach vielen Aufenthalten in Sizilien fester Bestandteil meines deutschen Haushaltes geworden und am liebsten bewirte ich meine Gäste im Winter mit Speisen nach sizilianischen Rezepten, die ich aus Schüsseln in allen Farben des Regenbogens serviere. Das macht mir das deutsche Einheitsgrau und den minimalistischen Lifestyle im Norden erträglicher.
Jeder gute Haushalt braucht etwas Sizilianisches. Egal ob es eine chaotische Studenten-WG wie die meines Sohnes ist, die ganz unterschiedlich eingerichteten Behausungen meiner Freundinnen oder jetzt die Altbauwohnung meiner Tochter. Für die war etwas ganz Besonderes nötig, quasi zwei neue Mitbewohner. Le teste di Moro, die berühmten sizilianischen Keramikköpfe mussten also her.
Dafür bin ich dieser Tage nach Caltagirone gefahren, von Noto knapp 90 Kilometer. Laut Navi eineinhalb Stunden auf der kürzesten Route, im Endeffekt habe ich drei gebraucht, ein Stau am Ortsrand von Noto inbegriffen. Sei‘s drum, durch das sizilianische Hinterland zu kurven ist den Aufwand allemal wert, eine Kaffeepause mit Tankstopp im fabelhaften Städtchen Vizzini eingerechnet. Dort ist die Zeit noch stehengeblieben.

Dass die Wälder hier oben in dem gebirgigen Landstrich die wütenden Flammen dieses infernalischen Sommers 2021 weitgehend unbeschadet überstanden haben, macht mich glücklich. Wie nahe ihnen die Feuersbrünste gekommen sind, sehe ich an den verkohlten Gerippen von Olivenhainen oder Kakteenhecken am Straßenrand.
Und dann liegt vor mir Caltagirone, die Märchenwelt für Keramikliebhaber. Der moderne Name leitet sich vom arabischen Qal’at Ghiran ab und bedeutet in etwa „Schloss der Vasen“. Palazzi gibt es jedenfalls viele, auch viele kleine Häuschen, die sich an den Berg schmiegen. An allen ist etwas Keramisches zu finden und sei es nur die Hausnummer auf einer Fliese. Und in mindestens jedem zweiten größeren Gebäude, an den Hauptstraßen, in den Seitengassen oder in den Hinterhöfen der Palazzi, gibt es Keramikwerkstätten, die produzieren, was ihre Töpferscheiben hergeben.

Die Qualität, die dabei entsteht, ist so vielfältig wie die Muster auf den Produkten: von billiger Massenware bis zu kreativen Kunstwerken ist für jeden Geschmack und auch jeden Geldbeutel etwas dabei. Die Töpfer und Kunsthandwerker profitieren bei ihrer Arbeit vom Erbe der Araber, die wie so viele Völker einst Herrscher auf der Insel waren. Sie gaben einige wichtige Keramikherstellungstechniken wie die Verglasung an die bereits florierende lokale Industrie weiter.

Geschäfte verschütten heute ihre Waren auf den Bürgersteigen und der Effekt ist eine multichromatische Lebendigkeit. Wie soll ich mich da entscheiden, welchen der Läden ich betreten soll auf der Suche nach den „Mohrenköpfen“. Ich versuche es erst einmal im Herzen dieses keramischen Spektakels, an der Scalinata di Santa Maria del Monte, die die Unterstadt mit der älteren Oberstadt verbindet. Entlang der 142 Stufen, natürlich jede mit – allerdings bereits ziemlich ramponierten – Fliesen verziert, haben etliche Keramikateliers ihre Adresse.

Die bunten Köpfe, die mich aus diesen Geschäften mit ihren großen schwarzen Augen anstarren, sprechen mich aber nicht an. Ich suche also weiter in der ziemlich menschenleeren Stadt, und betrete eine Werkstadt in einer Seitengasse. Auch hier viele Köpfe, Männer, Frauen, aber auch sie wirken zu glatt, sind entweder mit zu viel Gold verziert, haben zu langweilige Farben oder einfach zu wenig Charakter im Ausdruck. Ich will schon wieder gehen, als ich sie doch noch entdecke: eine wunderschöne Keramikfrau. Ich muss nicht lange nachdenken, die und keine andere soll es sein, fehlt nur noch der dazugehörige Mann.

„È singola“, lacht Carmela, die hinter der Ladentheke gerade eine Araberin bedient, als ich sie frage, ob es auch den passenden Mann gibt. Als sie ihre Kundin aus dem Mittleren Osten verabschiedet hat, machen wir uns in der Werkstatt auf die Suche, ob sich der Partner der Keramik-Schönheit nicht vielleicht doch irgendwo versteckt hat. Sfortunatamente no, leider nicht, er blieb verschollen.

Da erzählt Carmela mir die Legende, die sich um die Keramikköpfe rankt wie die kunstvollen Ornamente: Um das Jahr 1100, während der Herrschaft der Mauren auf Sizilien, soll in Palermo, in der Kalsa, ein schönes Mädchen mit einer Haut wie Pfirsich und wunderschönen Augen, ihre Tage damit verbracht haben, sich um die Pflanzen auf dem Balkon zu kümmern. Eines Tages soll sie dabei ein junger dunkelhäutiger Mann beobachtet haben. Als er sie sah, verliebte er sich sofort in sie und beschloss, sie um jeden Preis zu bekommen. Das Mädchen erwiderte die stürmische Liebe des Mauren. Allerdings war das Glück nur von kurzer Dauer.
Denn sie erfuhr, dass ihr Geliebter sie bald verlassen würde, um in den Osten zurückzukehren, wo eine Frau mit zwei Kindern auf ihn wartete. Das Mädchen fühlte sich tief gekränkt und wollte sich an ihm rächen. Sie wartete auf den Abend und dass er einschlief. Der Legende nach soll sie ihren Geliebten dann ohne zu zögern getötet und ihm den Kopf abgeschnitten haben. Die Legende will es außerdem so, dass das Mädchen aus dem Kopf eine Vase machte, in die sie etwas Basilikum pflanzte und sie draußen auf den Balkon stellte. Auf diese Weise würde er, so glaubte sie, für immer bei ihr bleiben.
Das Basilikum wuchs üppig und soll den Neid der Nachbarn erregt haben, so geht die Sage weiter. Die Leute glaubten angeblich außerdem, dass das an der Form des Blumentopfs lag. Die Folge: sie ließen sich Terrakottatöpfe nachbilden. Noch heute kann man auf den sizilianischen Balkonen solche Gefäße sehen.

Eigentlich eine gruselige Geschichte, die zudem mein Problem nicht löste. Aber wir leben ja glücklicherweise im 21. Jahrhundert. Um die alleinstehende Keramik-Schönheit auf ewig mit ihrem Traummann zu vereinen, wird ihr jetzt in den kommenden Wochen einfach einer im Brennofen gebacken. Dann gehts in einer bequemen Kiste mit der Spedition über den Stretto, die Autostrada del Sole und den Brenner nach Deutschland. Wo das Paar schon sehnlich erwartet wird…
Eine interessante Geschichte, fabelhaft erzählt! Auch wenn ich diese bunte Keramik eigentlich persönlich nicht mag, macht es mich neugierig.
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