Sperlinga

Nunzia zetert. Sie schreit, sie keift und weint, alles in einem. Sie ist nicht zu sehen, aber ihre Stimme ist schon von weitem zu hören. Der Felsen verstärkt ihre Tirade. Warum sie so aufgebracht ist? Das mag nur der Mensch verstehen, den sie mit ihren wütenden Worten überschüttet. Nunzia schimpft in Galloitalico, einem Dialekt, den sie bis heute in Sperlinga sprechen.

Nachdem 1087 der Großgraf Roger in dritter Ehe Adelaide, Tochter von Manfredi Marquis von Monferrato im Piemont geheiratet und gleichzeitig eine Tochter von Ruggero Enrico den Bruder von Adelaide geehelicht hatte, setzte eine starke Zuwanderung aus Norditalien ein. Die Neuankömmlinge ließen sich im Bereich von Randazzo bis Caltagirone nieder. Sie brachten auch eine andere Sprache mit, was zu einer Veränderung des sizilianischen Dialekts führte, den die 700 und ein paar Menschen bis heute weiter pflegen, die in dem Dorf im Fels leben.

Sperlinga ist den meisten Reiseführern nur eine Fußnote wert. Dabei hat das Dorf eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Der Name leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet „Spelonca“, Höhle. Viele Gebäude sind in den Fels gehauen: die Burg und die antike byzantinische Nekropole, die zunächst als Gräber und dann als Häuser genutzt wurde. Bis in die 1960er Jahre lebten darin Menschen. Das eigentliche Dorf ist normannischen Ursprungs, ebenso wie die Burg.

Während der Sizilianischen Vesper, die mit dem Massaker an den Franzosen am Ostermontag 1282 in Palermo begann, scherte Sperlinga aus: während sich der Großteil der Sizilianer gegen die französischen Besatzer, die Anjou, auflehnten, ergriff der Ort im Fels Partei für sie: Auf dem Spitzbogen in der Eingangshalle des Schlosses befindet sich eine lateinische Inschrift: „QUOD SICULIS PLACUIT SOLA SPERLINGA NEGAVIT“ (Was von den Sizilianern gegründet wurde, wurde nur von Sperlinga geleugnet). Während also in Palermo und anderswo den Franzosen der Garaus gemacht wurde, wurde ihnen in Sperlinga geholfen und Zuflucht in der Burg gewährt.

Giuseppe Verdi hat in seiner 1855 in Paris uraufgeführten Oper „Sizilianische Vesper“ dieses in Frankreich vermutlich heikle Thema musikalisch verewigt, in einem Werk, in dem es mehr Hass als Liebe gibt.

Und dann gibt es noch ein ikonisches Werk, das mit Sperlinga verbunden ist: Robert Capas Foto, das er am 6. August 1943 an der Contrada Capostrà gemacht hat. Ein alter sizilianischer Bauer weist darauf einem amerikanischen Soldaten den Weg nach Sperlinga. An der SS 120 haben sie das mit einem Gemälde auf einer Betonwand verewigt. Aber das ist eine andere Geschichte…

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