Mitten unter uns

Mal ganz unter uns: Mit manchen Dingen in Sizilien komme ich einfach nicht klar. Dazu gehören die Passivität in vielen Dingen, der Müll überall in der Landschaft, das Wegschauen und die Mafia. Zu glauben, dass diese Schwerkriminellen keine Rolle mehr spielen würden, nur weil sie gegen den Staat nicht wie vor 30 Jahren offen Krieg führen, wäre naiv.

Als ich eben im tabacchi war, war da so ein Moment, da hat irgendwas nicht gepasst. Raffè, der den Laden führt, ist die Freundlichkeit in Person, diesmal aber reagierte er fahrig und abweisend. In der Sitzecke des jetzt sehr stylischen Geschäfts saß ein älterer Mann in feinem Zwirn, der nicht so wirkte, als ob er auf die Ziehung der nächsten Lottozahlen warten würde. Raffè konnte es gar nicht erwarten, bis ich mein Zeug im Rucksack verstaut hatte und wieder verschwand.

Keine Ahnung, was da los war. Es war auf jeden Fall sonderbar. Direkt fragen kann ich den Zigarettenverkäufer ja nicht. Aber ich habe mich selbst schon gefragt, wie ein junger Sizilianer an einem nicht besonders als Publikumsmagnet bekannten Platz so einen schicken Laden aufmachen kann. Und so richtig viel Traffic findet dort auch nicht statt.

Den Gedanken habe ich bisher indes nicht weiter verfolgt, manches will ich dann doch nicht so ganz genau wissen. Weil ich ja sonst möglicherweise etwas unterstützen würde, etwas Kriminelles? Und bei solchen Überlegungen landet man in Sizilien ja ganz schnell bei der Mafia. Und dann hält man sich im nächsten Augenblick für völlig bescheuert und voller Klischeevorstellungen.

Dieser Tage habe ich aber auch einen Zeitungsartikel entdeckt, der beschreibt, dass die „ehrenwerte Gesellschaft“ mitten unter uns ist. Mitten in Noto. Sie hat sich an den besten Stellen Läden gesichert und ihre Geschäfte gemacht. Geldwäsche, Drogen, alles, woran man beim Stichwort Mafia halt so denkt…

Etliche Bars und ristorante in bester Zentrumslage der Barockkapitale waren also in der Hand eines Mafiaclans. Ich selbst bin dort gelegentlich eingekehrt. Die Läden wurden beschlagnahmt, was auch meine Frage beantwortet, warum sie schon seit Jahren geschlossen sind. Die Polizei zog Grundstücke und anderes Vermögen im Gesamtwert von vier Millionen Euro aus dem Verkehr. Das Ganze ist schon etwas her. Jetzt ging’s um ein Gerichtsverfahren. Aber ich glaube nicht, dass damit der Krake der Kopf abgeschlagen wurde. Andere Köpfe werden sicher auch in Noto ihre Geschäfte weiter betreiben. Bis zum nächsten Schlag der Polizei.

Es ist wie ein Katz-und-Maus-Spiel. Und ich verstehe nicht, warum das Problem Mafia nicht in den Griff zu kriegen ist. Die deutsche Soziologin Anita Bestler versucht das seit vielen Jahren zu entschlüsseln. Sie hat im November 2021 dazu ein Buch herausgebracht: „Die sizilianische Mafia – Der bewaffnete Arm der Politik“, in dem sie auf 600 Seiten die organisierte Kriminalität in Sizilien beschreibt und einen neuartigen Zugang zum Verständnis eines komplexen Phänomens bieten will, welches die politische Entwicklung Italiens von seiner Staatsgründung bis in die Gegenwart prägte.

Die Verstrickungen zahlreicher italienischer Politiker in die Mafia oder die Korruption innerhalb der Justiz und des Polizeiapparates in das organisierte Verbrechen sind landläufig bekannt. Und trotzdem ändert sich nichts.

Zwar gab es vor allem nach den Morden an den Staatsanwälten Giovanni Falcone und Paolo Borsellino große Empörung in der Bevölkerung und eine Aufbruchsstimmung in der Anti-Mafia-Bewegung. Doch so wirklich hat sich die Hoffnung auf eine nachhaltige Änderung nicht erfüllt. Die Soziologin Bestler schreibt, dass die Politik vor allem nach spektakulären Morden an hochrangigen Persönlichkeiten versucht habe, die aufgebrachte Bevölkerung mit allerlei Maßnahmen wie Gesetzesverschärfungen und Schauprozessen zu beruhigen. Also „Opium fürs Volk“ verteilt hat, wie ich das nennen würde. Doch dann seien die Aktivitäten wieder zurückgeschraubt worden. Und alles bleibt wie zuvor und die Politiker machen weitgehend unbehelligt weiter.

Ich als Außenstehende aus einem Land, in dem eine Grüne Bundesministerin wegen der öffentlichen Empörung über eine Urlaubsreise während der Flutkatastrophe im Juli 2021 zurückgetreten ist, komme damit einfach nicht klar. Und darüber sprechen will mit mir hier auch keiner. Womit ich nicht sagen will, dass das Land meiner Herkunft erfolgreicher mit den auf seinem Territorium agierenden Clans fertig wird. Die Gier nach Geld und Macht ist scheinbar die einzige Sprache, die weltweit ohne Worte verstanden wird.

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