Terra di frontiera

So viel Regen wie in Sizilien in diesem Jahr habe ich vermutlich noch nie abgekriegt. Es müssen Hektoliter gewesen sein, die auf mich und die Insel niedergeprasselt sind.

La Sicilia e terra di frontiera per il cambiamento climatico – Sizilien ist beim Klimawandel an vorderster Front. Klingt nicht gut, was Wissenschaftler da sagen. Stürme und vor allem Überschwemmungen setzen der Insel zu. Stürme, die einem Hurrikan so ähnlich sind, dass sie Medicane genannt werden. Alles schon erlebt.

Die Wassermassen, die hier bei einem Gewitter runterkommen, machen aus Straßen im Nu reißende Flüsse und aus Schlaglöchern tiefe Seen. Dauerregen wie vor einem Jahr lässt landwirtschaftliche Anbauflächen absaufen.

Allerorten wird nach Hilfe gerufen, Forderungen werden laut nach Maßnahmen, die Sizilien und seine Menschen schützen sollen. Aber ginge das überhaupt?

So wie im August sind auch jetzt im Oktober wieder an manchen Tagen Wassermassen aus den Wolken gefallen. Das waren keine Starkregen mehr, das waren Sturzfluten. Sciacca an der Südküste hat es offenbar massiv getroffen. Schon wieder. Es ist noch kein Jahr her seit der letzten massiven Überschwemmung dort. Im Internet kursieren Aufnahmen von der zerstörerischen Kraft des Wassers.

Die Sturzfluten kündigen sich mit schwarzen Wolkenwänden an. Dann geht alles ganz schnell.

Ich überlege mir mittlerweile gut, wann ich wohin fahre, denn der Regen kommt hier meist ziemlich plötzlich. Und dann kann es richtig gefährlich werden. Das ist die einzige Möglichkeit, individuell auf die Situation zu reagieren. Alles andere muss man im wahrsten Sinne des Wortes über sich ergehen lassen.

Früher hat mich das ein wenig belustigt, wenn ich in Deutschland italienische Autos gesehen habe, die bei Regen am Straßenrand warten. Ich weiß jetzt, warum sie das machen. Ich mache es hier in Sizilien nämlich auch, wenn mich so eine Sturzflut überrascht. Oft ist es dann gar nicht so leicht, eine passende Stelle zum Abwarten zu finden.

Meistens kommt der Regen mit heftigen Gewittern. Jedesmal fällt dann der Strom aus. Im Haus sitzt man in dem Fall am helllichten Tag im Dunkeln. Manchmal gefühlt ewig. Denn die Fensterläden müssen geschlossen sein, damit das Wasser nicht durch jede Ritze dringen kann. Deshalb stehen bei mir mittlerweile zu jeder Jahreszeit Kerzen auf dem Tisch.

Komischerweise gewöhnt man sich schnell an diese Ausnahmesituationen. Muss man ja, man kann ja nichts dagegen machen. Außer wegbleiben. Das könnte ich durchaus machen. So wie früher die Auswanderer, die hinter sich einfach die Tür abgesperrt haben und nicht mehr zurückgekommen sind. Aber die Menschen, die hier immer leben?

Vielleicht hat hier vor Jahrzehnten einfach jemand hinter sich die Tür abgesperrt und ist nicht wiedergekommen.

Ich merke, wie sich Fatalismus, der mich manchmal in Sizilien so aufregt, auch in mir zunehmend breit macht. Man kann ja eh nichts ändern, denke ich mir dann und hoffe, dass die Unwetter Noto verschonen werden. Nur nicht daran denken, pazienza und die irrationale Hoffnung, dass am Ende schon alles gut ausgehen wird. Vermutlich könnte man anders, mit einer rationaleren Einstellung zu den Problemen, hier gar nicht leben.

Denn Erdbeben gibt es ja auch noch, das darf man nicht vergessen. Die Region Siracusa ist auch da ganz oben bei den am gefährdetsten Gegenden in Sizilien dabei. Ein schweres Beben gab es ja in voller Wucht im Val di Noto schon einmal. Aber ganz ehrlich: Wenn das wieder eintreffen sollte, wäre ich wirklich lieber woanders.

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