Plan und Wirklichkeit

Ich war viel zu lange weg. Zehn Monate. Das war so nicht geplant, als ich vergangen Oktober Richtung Norden aufgebrochen war. Ich hatte am Vorabend der Abreise noch einmal ein Foto vom Blick über „meine“ Dächer gemacht. Ziemlich gedankenlos, ich würde ja bald wiederkommen.

Pläne platzen aber meistens, wenn sie über die Zubereitung des nächsten Abendessens hinausgehen. Was mal wieder zu beweisen war.

Geplant war also, dass ich ab diesem Jahr stets von Mai bis Juli am Stück in Sizilien sein würde. Meine Teilzeit war bereits in trockenen Tüchern.

Nun ja, Ein Plan eben. Ein interessantes Jobangebot ließ mich schwach werden. Geplant war danach, dass ich vor Antritt im Frühjahr mehrere Wochen Urlaub nehmen sollte. Hab ich natürlich gemacht, der Flug nach Sizilien war schon gebucht. Wieder so ein Plan…

…der sich ebenfalls in Luft ausgelöst hat: Zeitgleich schwere Krankheit in der Familie und ein durchgeknallter Despot, der mit seinen Atomwaffen gerasselt hat. Unvorstellbar in dieser Situation 2000 Kilometer weit weg von den Liebsten daheim zu sein. Also umgebucht.

Und dann steckte ich entgegen aller meiner schönen Pläne plötzlich fest in einer negativen Abwärtsspirale: Zwölf Stunden Arbeit am Tag, die der neue Job mit sich brachte, maulende Kollegen, zusätzliche familiäre Anforderungen… ich wurde dadurch wieder typisch deutsch. Ganz ungeplant. Im Hamsterrad, bis zur Erschöpfung. Egal, einfach am nächsten Tag wieder rein, weiterrennen ohne nachzudenken.

Meine Erinnerung an die sizilianische Gelassenheit, die ich mir in vielen Jahren hier auf der Insel zu eigen gemacht hatte, verblasste. Sie wurde so schwach, dass sie mir im Alltag nicht mehr half. Meine Kraft reichte schließlich nur noch, um an meinem letzten Plan festzuhalten: am umgebuchten Flug. Komme, was da wolle. Selbst der von mir so ungeliebte August schreckte mich nicht.

Ich war viel zu lange weg. Nicht nur für meine Wasserpumpe. Das Brot ist jetzt um 50 Prozent teurer und dabei hat es, seitdem ich auf sizilianisch denke, immer einen Euro gekostet. Der kleine Tabacchi an der Piazza Mazzini mit dem zauberhaften alten Ehepaar und dem nostalgisch-chaotischen Ambiente, in dem es auch Briefmarken gab und Eis am Stil und Parfüm aus dem vorvergangenen Jahrhundert, hat den Besitzer gewechselt, vor vier Monaten.

Der Laden ist jetzt hipsterisiert, wie ich das nenne, und das bei mir oben in Noto alta, wohin sich ja immer noch nicht so viele Touristen verirren. Die beiden Alten, die für mich seit über zehn Jahren fest zu meiner sizilianischen Community gehört haben, sind einfach weg. Das macht mich traurig. Obwohl ich den neuen Besitzer auch sehr nett finde. Sein Angebot beschränkt sich leider auf Zigaretten und Getränke, soweit ich das auf die Schnelle sehen konnte. Und der Laden ist sehr aufgeräumt.

Ich war einfach viel zu lange weg, viel zu lange im Norden. Ich habe hier so viel verpasst. Statt dessen habe ich viel zu viel geplant, in meinem ufficio zu viele Listen geschrieben, nicht mit der Hand auf einen Zettel, so wie der Sizilianer gestern, sondern auf dem Computer. Umsetzen ließ sich von meinen Plänen fast keiner. Die Menschen kamen halt immer dazwischen…

Welche Erkenntnis ziehe ich daraus? Vergesst das Planen! Und: Zehn Monate ohne Sizilien sind für mich einfach vergeudete Lebenszeit!

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