Der Prophet ist hier allgegenwärtig: Er nennt sich François und überall wirbt er für seine Dienste. Ziemlich bescheuert, denke ich mir jedesmal, wenn ich an einem dieser hässlichen Plakate vorbeikomme. Die Vorstellung, dass tatsächlich Menschen seinen Rat suchen, erscheint mir absurd.
Je öfter ich aber an diesem einen Transparent vorbeifahre, das auf dem Weg zum Meer an einer Bahnüberführung hängt, desto neugieriger werde ich. Nicht unbedingt darauf, was mir die Zukunft bringt, aber wer oder was dieser profeta ist.
Also habe ich ihn gegoogelt. Die sind hier ja alle auf Facebook, jedes Bauunternehmen wirbt im Metaverse für sich. So ein Konstrukteur des Schicksals macht da sicher keine Ausnahme.
Ich finde allerdings nur ein paar kurze Videos, auf denen ein ziemlich lächerlicher Mann zu sehen ist. Ob es der ist, der für sich auf den Plakaten wirbt, kann ich nicht sagen, vielleicht gibt es mehrere solcher Propheten. Dann ist da noch ein Zeitungsartikel, in dem von einem Mafioso die Rede ist, der den Künstlernamen Profeta François haben soll. Die Zusammenhänge sind mir nicht klar und eigentlich auch egal. Obskur ist das Ganze auf jeden Fall, egal wie man in die Kristallkugel schaut.
Dass die Menschen hier in Sizilien aber dem Übersinnlichen zugetan sind, fällt schon auf. Alle tragen irgendeinen Talisman um den Hals, bekreuzigen vor jeder Heiligenfigur, die hier ja an jeder Straßenecke stehen und gehen auch mal schnell in eine Kirche, um göttlichen Rat einzuholen. Selbst die Jungen.

Und auch Wahrsager scheinen einen Markt zu haben. Woran das wohl liegt? Vielleicht an der Geschichte Siziliens, die voller Mythen ist, die die Griechen hierhergebracht haben. So gilt zum Beispiel in der antiken Überlieferung seit Homer Teiresias als Seher schlechthin. Das ist der Wahrsager, der dank seiner Blindheit in der Lage ist, weiter zu blicken und die Zukunft vorauszusehen. Teiresias hat verschiedene Gesichter und Lebensphasen durchlaufen – vom Mann zur Frau, vom Jungen zum Alten, er kennt sich also aus. Sein Symbol wird hier als Kettenanhänger verkauft.
In Sizilien, der Insel der geheimen Absprachen, wird hinter dicht zugezogenen Vorhängen, so vermute ich, auch heute noch die Magie gepflegt. Zu den Orakeltechniken, von denen mir erzählt wurde, gehören zum Beispiel Oliven und Zitronen. In der Zukunftsschau, der sogenannten Divination, ist die heimische Produktion an Feldfrüchten für viele Sizilianer offenbar unverzichtbar.

So kann man angeblich, wie man mir allen Ernstes erklärt hat, mit einer Olive in die Zukunft sehen. Dazu braucht man einen Ölbaumzweig über der Tür. Prophetische Träume von der nächsten Liebe sind damit quasi garantiert und der nächste annehmbare Mann, der die Schwelle überschreitet, wird dann die Glückliche hinter der Tür auch heiraten. Schon allein diese Mann/Frau-Sache finde ich sowas von Retro. Nun ja, mich erinnert das außerdem ein bisschen an die Mistelzweige, die in der Weihnachtszeit mittlerweile auch in Deutschland über jeder Haustür hängen.
Zitronen gehen auch, wie es heißt. Mit bunten Stecknadeln gespickt kann man sie einem guten Freund oder einer Freundin schenken und zusehen, wie deren Glück sich mehrt. Das wiederum würde ich als Voodoo-Zauber bezeichnen. Man kann das auch für sich selbst machen, dann muss die Zitrone in eine Schachtel. Das Glück, so wollte man mir weismachen, wird dann dauerhaft ins Haus gezogen.
Nun ja, Oliven habe ich persönlich lieber in einem Martini und Zitronen in einem Gin Tonic… Magische Zweckentfremdung würde ich als Lebensmittelverschwendung bezeichnen.

Aber eines würde ich am Vorabend meiner Abreise schon gerne wissen: Wann ich nach Sizilien zurückkehren werde. In den vergangenen drei Jahren kam es nach dem Winter nämlich jedes Mal ganz anders, als ich es geplant hatte. Vielleicht sollte ich doch mal schnell bei Profeta François anrufen. 😉