Picking up Syracuse

Gemäß einer Schätzung der britischen Tageszeitung The Guardian nahmen im Jahr 2016 weltweit rund 24 Millionen Passagiere auf 220 Schiffen an einer Kreuzfahrt teil. Im Jahr 2010 waren es rund 19 Millionen Passagiere. Im Jahr 2019 erreichte das Kreuzfahrtgeschäft in Deutschland seinen bisherigen Höhepunkt: 2 943 400 Passagiere wurden vor der Pandemie gezählt.

Diese Kreuzfahrer schippern, besser kreuzen über die Meere, von Hafen zu Hafen, sammeln die Namen der schönsten Städte wie früher Briefmarken aus fernen Ländern. Und seitdem Venedig die Riesenpötte nicht mehr so gerne vor dem Markusplatz liegen haben will, kommen sie scheinbar jetzt geballt nach Siracusa.

Wenn die Luxusyachten weg sind, die im Sommer vor dem Foro Italico ankern, nehmen die Kreuzfahrtschiffe ihren Platz ein. Zum Glück lässt der Naturhafen nur relativ kleine Exemplare zu, aber wenn derer vier hier gleichzeitig anlegen, wird es in den Gassen der Ortigia eng.

Der Reiz dieses Massentourismus erschließt sich mir nicht. Im Gänsemarsch trotten die Menschen irgendwelchen Reiseführerinnen und -führern nach, die oberflächliche Dinge über die Orte erzählen. Wahrscheinlich wissen sie, dass ihnen ohnehin niemand zuhört, denn die modernen Kreuzfahrer, die sie in ihrem Schlepptau haben, erobern sich die Städte mit ihrem Handy.

Anstatt sich den grandiosen Duomo mit eigenen Augen anzuschauen und seine Großartigkeit zu bestaunen, schieben sie zwischen sich und die Wirklichkeit den Mini-Bildschirm ihrer Smartphones. Sie verkleinern die überwältigende Schönheit der Piazza Duomo auf 10 mal 20 Zentimeter. Dank der GPS-Daten auf den Fotos können sie hoffentlich später an der Bar ihres Riesenschiffes auseinanderhalten, wo sie gewesen sind.

„We picked up Syracuse“, hat ein älterer Mann heute zu seinem Mitreisenden gesagt, so als ob seine Gruppe Siracusa erobert hätte. Mich hat das ein bisschen an die Kreuzritter im Mittelalter erinnert, die auf ihren mit Kruzifixen bemalten Schiffen in ihre von der lateinischen Kirche sanktionierten, strategisch, religiös und wirtschaftlich motivierten Kriege gezogen sind, um Jerusalem für die Christenheit zu erobern.

Das war selten von Erfolg gekrönt. Oft hinterließen die Kreuzritter auf ihrem Weg Verwüstung und Tod. Dass sich auch ein gewisser Herr P. aus Russland derzeit auf einem Kreuzzug wähnt, gibt der touristischen Massenveranstaltung auch sprachlich einen noch etwas faderen Beigeschmack.

Ganz so schlimm sind die modernen Kreuzfahrer gewiss nicht, aber ihr Tun wird schon lange kritisch beäugt. Die Frage ist doch: Wie viele von diesen Schiffen erträgt eine Stadt? Venedig hat durchlitten, welche Auswirkungen Kreuzfahrten haben können. Das muss Siracusa ja nicht nachmachen. Hoffe ich jedenfalls. Inständig. So inständig, dass ich den Eintritt in den Duomo zahle, um eine Kerze dafür anzuzünden. Und einen Moment Ruhe vor den Kreuzrittern da draußen zu haben.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s