Das Funkeln italienischer Städte des nachts gehört für mich zu dem Land wie das Meer oder ein Teller Pasta. Wenn ich nur daran denke, geht in mir die Sonne auf. Die in gelboranges Licht getauchten Baudenkmäler, die abends angestrahlten Strandpromenaden, die die Wärme des Tages in die Nacht retten. Und jetzt? Basta. Finito.
Etwas fehlt nämlich seit geraumer Zeit. Das wurde mir heute Abend schmerzlich bewusst, als ich hinunter zum Corso gegangen bin. Zuerst ist mir nichts aufgefallen, die Straßen waren ganz normal erhellt. Als ich am carcere vorbei war und am verlassenen Ospitale Trigona und zur Treppenwand kam, merkte ich auch noch nichts. Aber als ich die Kehre genommen hatte, an der ich normalerweise kurz innehalten muss, einfach weil der Blick auch nach vielen Jahren atemberaubend ist, war da heute: ein schwarzes Loch. Ein Nichts. Die Kuppel der Kathedrale war dunkel.

Das Schwarz vor meinen Augen war unmissverständlich: In Zeiten wie diesen lassen sich die Krisen nicht mehr einfach ausblenden. Sie betreffen jeden ganz direkt. Jetzt also auch der Krieg, die Energiekrise, die aber meiner Ansicht nach auch ohne den Krieg gegen die Ukraine eher früher als später auf uns alle zugekommen wäre. Wegen der Energiekrise bin ich überhaupt noch einmal nach Sizilien gekommen in diesem Jahr. Um meine Heizperiode in Deutschland um einige Wochen hinauszuzögern. Und außerdem: Wer weiß, was im kommenden Jahr wieder sein wird, ob Reisen überhaupt möglich sein werden. Meine persönlichen Gewissheiten sind ebenso wie die allgemeinen Gewissheiten irgendwie abhanden gekommen.

Während ich also in der Bar auf meine Verabredung warte, google ich, was im kommenden Winter von den Menschen in Italien abverlangt werden wird, außer dass das Funkeln ihrer wunderschönen Städte abgeschaltet wurde. Und ich lese da, dass die Heizperiode verkürzt werden wird. Außerdem, so erfahre ich weiter, dürfen sie im Verlauf eines Tages jeweils eine Stunde weniger heizen. Auch die Standardtemperatur wird offenbar um ein Grad Celsius reduziert, auf 17 bis 21 Grad. Mir ist allerdings nicht ganz klar, ob das auch in Privatwohnungen gilt. Und während ich mir noch überlege, wer das kontrollieren soll, erfahre ich im Netz, dass es Stichprobenkontrollen geben wird, in öffentlichen Gebäuden, aber auch in Wohnblocks.
Nun ja, auch in Deutschland wird es ja im kommenden Winter allerlei Vorschriften und Vorschläge geben, wie Energie eingespart werden kann. Wobei ich vermute, dass viele Menschen, in Deutschland ebenso wie in Italien, ganz ohne Appelle der Politiker*innen das Thermostat ihrer Heizungen freiwillig runter drehen und die Lichter ausknipsen. Dafür sorgt schon die Angst vor der nächsten Rechnung der Energieversorger.
Was ich heute allerdings auch gelesen habe, in der Süddeutschen Zeitung: Wir Normalsterblichen können uns noch so sehr bemühen, unser Einsparpotenzial ist im Vergleich zu den Superreichen lächerlich klein. Je reicher jemand ist, desto mehr Energie verbraucht er, haben Studien demnach ergeben. Das reichste Prozent der Haushalte in Deutschland jedenfalls beansprucht jedes Jahr 400 Gigajoule. Der Durchschnittsverbrauch aller Haushalte liegt bei nur 87 Gigajoule. Etwas deutlicher ausgedrückt: 400000 Haushalte an der Spitze verbrauchen genauso viel Energie wie die 6,4 Millionen Haushalte am unteren Ende der Fahnenstange.

Wir können also noch so kalt und kurz duschen, die Temperatur noch so stark absenken, noch so oft unser Auto stehen lassen: wenn die Reichsten sich nicht einschränken, wäre das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Außerdem: Noch mehr Energiesparen, als es die meisten Normalsterblichen schon tun, lässt sich in ihrem Fall kaum noch. Und die Tipps, die derzeit unter die Leute gebracht werden, sind ja auch nicht wirklich neu:

Wobei ich hier nicht die Moralkeule schwingen will, die macht ja alles nur noch schlimmer und ich weiß auch nicht, wie ich mich verhalten würde, wenn ich superreich wäre. Vielleicht hätte ich ich dann auch einen Privatjet. Eine Yacht sicherlich und gegen eine Villa am Meer hätte ich bestimmt auch nichts einzuwenden.
Andererseits könnte mehr Solidarität zwischen Reich und Arm nicht schaden. Wenn es schon in unseren Wohnungen kalt wird, könnten wir uns an die so erzeugte zwischenmenschliche Wärme halten.

Angst vor unangekündigten Heizkontrolleuren habe ich hier in Sizilien übrigens nicht. Ich habe nämlich gar keine Heizung. Meine Nachbarin Rosetta kontrolliert mich allerdings engmaschig, indem sie mich jedesmal streng darauf hinweist, sollte ich ein Licht vergessen haben, wenn ich abends aus dem Haus gehe. Heute auch wieder. Und das macht sie schon, so lange ich sie kenne. Für Energieverschwendung hatte Rosetta noch nie Verständnis. Für diese Erkenntnis brauchte sie keinen Krieg und keine wissenschaftlichen Studien. Das hat ihr ihr gesunder Menschenverstand gesagt.